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Der Gesang der Orcas

Der Gesang der Orcas

Titel: Der Gesang der Orcas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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Vater, was ich dir verraten habe.«
    Wir kuschelten uns in die Sitze und Lorraine holte eine Thermoskanne mit heißem Tee aus ihrem Rucksack.
    Â»Magst du meinen Vater?«, fragte ich sie.
    Â»Ja«, sagte sie. »Ich mag ihn. Traurige Männer üben eine magische Anziehungskraft auf mich aus. Das ist manchmal nicht leicht.«
    Â»Wenn er wieder lachen könnte, vielleicht kämen wir dann besser miteinander aus«, sagte ich leise.
    Â»An dem Tag, als das Unwetter war«, erzählte Lorraine, »hat dein Vater gelacht. Ich dachte, er hätte es geschafft. Aber dann warst du mit Javid verschwunden und er wurde zum traurigsten Mann der Welt.«
    Â»Hast du mit ihm geschlafen?«
    Sie sah mich an, gar nicht überrascht, dass ich ihr eine solche Frage stellte. »Ja«, sagte sie. »Es hat ihm geholfen, die Nacht durchzustehen. Er ist bald verrückt geworden vor Angst, vor allem weil er nichts tun konnte.«
    Ich nickte.
    Â»Bist du sauer deswegen?«, fragte sie.
    Achselzuckend sagte ich: »Es wundert mich, dass ich es nicht bin.«
    Â»Vielleicht, weil du es verstehst, Sofie. Du lässt deine Trauer zu, deshalb bist du schon viel weiter als dein Vater. Er kämpft und wehrt sich gegen seine Gefühle. Er liebt dich verzweifelt, kann es aber nicht ausdrücken. Im Augenblick zeigt sich seine Liebe in seiner Eifersucht und seinem Groll.«
    Â»Eifersucht hat was mit Besitzdenken zu tun, nicht mit Liebe«, bemerkte ich. »Liebe ist bedingungslos.«
    Â»Er wird schon noch dahinter kommen. Lass ihm einfach ein bisschen Zeit.«
    Â»Javid und mir bleiben aber nur noch zehn Tage.« Verzweifelt sah ich Lorraine an.
    Â»Mach dir mal keine Gedanken, wir kriegen das schon hin.«
    Hatte sie eben wir gesagt? Hatte ich in Lorraine Cook unerwartet eine Verbündete gefunden?
    Â»Hast du eigentlich Kinder?«, fragte ich sie.
    Lorraine schüttelte den Kopf und lächelte. »Nein. Deshalb weiß ich ja so gut über Erziehung Bescheid.«
    Beinahe bedauerte ich, dass mein Vater zurückkam, denn ich hätte noch ewig mit Lorraine weiterreden können. Aber Papa sollte nicht wissen, wie gut ich mich mit ihr verstand,und deshalb verschwand ich wie ein Schatten auf den Rücksitz und schwieg.
    Wir fuhren zurück auf den Highway 101 und aßen tellergroße Holzfällersteaks in einem rustikalen Restaurant in Forks. Mein Vater erzählte von seinen Nebelfotos, die er für gelungen hielt, und tat so, als wäre alles in bester Ordnung. Das war es natürlich nicht. Dennoch hielt ich es für besser, den Mund zu halten und ihn nicht zu provozieren, auch wenn ich vielleicht Lorraine auf meiner Seite gehabt hätte. Ich wollte es nicht darauf ankommen lassen.
    Es war Nachmittag, als wir nach Neah Bay zurückkehrten. Mein Vater wollte sein Filmmaterial sortieren, Lorraine an ihrem Artikel arbeiten. Ich klopfte zaghaft an Javids Zimmertür, aber er war nicht da. Auch Freda nicht. Alisha saß Kaugummi kauend in dem kleinen Büro des Motels und hörte Powwow-Musik. Als sie mich sah, stellte sie die Musik leiser.
    Â»Hi«, begrüßte ich sie. »Weißt du, wo Javid ist?«
    Alisha schüttelte den Kopf. »Nein, keine Ahnung. Er und Tyler haben irgendwelche Geheimnisse. Wahrscheinlich sind sie zusammen und hecken etwas aus.«
    Ich glaube, Alisha war traurig, weil sie sich ausgeschlossen fühlte. Dieses Gefühl kannte ich sehr gut und sie tat mir Leid.
    Â»Musst du wieder Freda vertreten?«, fragte ich.
    Â»Ja, sie ist auf dem Friedhof.«
    Â»Geht sie oft dorthin?«
    Alisha presste die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf. »Nein. Nur dann, wenn sie nicht mehr weiterweiß.«
    Am Samstag bekam ich die Erlaubnis von meinem Vater, mit Javid in die Siedlung Waatch zu fahren und das Kanu weiterzubemalen. Er tat so, als würde ihn dieses Zugeständnis unendliche Überwindung kosten, und ich fand sein Verhalten äußerst kindisch.
    Mir war klar, dass Lorraine sich für mich eingesetzt hatte. Möglicherweise war ja ihr Motiv, mir zu helfen, nicht ganz uneigennützig. Denn wenn ich mit Javid zusammen war, hatte mein Vater mehr Zeit für sie. Es war mir egal, von mir aus konnte sie ihn haben. Im Augenblick war es mir am liebsten, wenn ich ihn nicht sah und nichts mit ihm zu tun hatte.
    Javid hatte am Freitag lange an seinem Kanu gearbeitet und war ein gutes Stück vorwärts gekommen. Nur der Kopf des

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