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Der Gesang der Orcas

Der Gesang der Orcas

Titel: Der Gesang der Orcas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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auf den Mund, als ich ihm eine gute Nacht wünschte.

25. Kapitel
    O bwohl ich all meine neu gewonnene Magie aufwandte, um den Nebel über Nacht einfach verschwinden zu lassen, war er am nächsten Morgen immer noch da. Genauso dicht und grau und nass wie am Vortag.
    Pünktlich um neun Uhr saßen Lorraine, mein Vater und ich in wetterfester Kleidung im Auto, bereit zur Abfahrt nach La Push. Ich hatte mächtig schlechte Laune und Papa schien auch nicht viel besser drauf zu sein. Nur Lorraine versprühte ungehemmt Heiterkeit, die trotz des Wetters nicht mal aufgesetzt wirkte. Wahrscheinlich war sie eine Frohnatur und nichts konnte ihrer positiven Lebenseinstellung etwas anhaben.
    Von diesem Ausflug in das kleine Reservat der Quileute-Indianer ist mir vor allem der Nebel im Gedächtnis geblieben, der alles zu einer grauen Masse verschmelzen ließ,was links und rechts der Straße existierte. Häuser, Strommasten und wild wuchernder Wald. Wir kamen durch das Holzfällerstädtchen Forks und Lorraine erzählte mir, dass man hier lieber nicht mit einem Greenpeace-T-Shirt herumlaufen sollte, sonst hätte man ziemlich schnell Ärger am Hals. Der ganze Ort lebte von der Holz verarbeitenden Industrie, für die ständig riesige, uralte Bäume gefällt wurden, was natürlich die Naturschützer zu häufigen Protestaktionen auf die Straße rief.
    Später bogen wir nach rechts auf eine schmale Teerstraße, die dem Quileute River folgte und direkt ans Meer und ins Reservat führte. »Die Quileute hatten eine eigene Sprache«, sagte Lorraine, die sich in diesem abgelegenen Zipfel Amerikas sehr gut auszukennen schien. »Und sie waren umgeben von Stämmen, mit denen sie nicht verwandt waren. Deshalb übernahmen sie den Namen, den die Franzosen ihrem Dorf gaben. La bouche heißt nichts anderes als – der Mund, das Delta des Quileute River.«
    Ich sah nicht viel von La Push, merkte nur, dass es viel kleiner war als Neah Bay. Es gab dort nichts, was unsere Aufmerksamkeit gefesselt hätte. Die Menschen schienen sich in ihren Häusern verkrochen zu haben und Nebelschwaden strichen die leeren Straßen entlang.
    Einige Meilen, nachdem wir La Push wieder verlassen hatten, fuhr mein Vater auf einen Parkplatz und holte seine Fotoausrüstung aus dem Wagen. Missmutig stieg ich aus. Er führte Lorraine und mich einen glitschigen Pfad durch den vor Nässe triefenden Wald bis zum berühmten Rialto Beach. Wir waren die Einzigen, die bei diesem Wetter hierher kamen, und da man die Schönheit des Strandes hinter den Nebelwänden nur erahnen konnte, langweilte ich mich fürchterlich.
    Aber mein Vater hatte nicht vor unverrichteter Dinge wieder zu verschwinden. Wie immer hatte er seine Tasche mit den verschiedenen Objektiven dabei, mit denen er bei jeglichem Wetter gute Aufnahmen machen konnte. Er behauptete, der Nebel gehöre zu diesem Stück Erde wie der Regenwald und der Ozean und deshalb würde er Nebelfotos machen.
    Ich stand da und blickte verdrießlich drein. Was mein Vater vorhatte, konnte dauern. Er war kein Freund von Schnappschüssen, er war ein Pedant. Bevor die Kamera nicht hundertprozentig richtig stand, das geeignete Objektiv auf der Linse steckte und alles perfekt auf das gewünschte Motiv ausgerichtet war, würde er nicht auf den Auslöser drücken.
    Â»Na komm!«, sagte Lorraine und legte mir freundschaftlich den Arm auf die Schulter. »Ich glaube, dein Vater wird hier einige Zeit zu tun haben. Und brauchen tut er uns auch nicht dazu.«
    Sie winkte meinen Vater zu, als er gerade im Nebel zu verschwinden drohte, und rief: »Wir warten im Auto auf dich, es wird uns hier zu nass.«
    Er nickte abwesend, schon ganz besessen von den Bildern, die er vor Augen hatte, und warf ihr den Autoschlüssel zu. Nun hatte ich die Wahl, mit Lorraine zu gehen oder meinem Vater beim Fotografieren zuzusehen.
    Ich entschied mich für Lorraine. Sie erschien mir in diesem Moment das kleinere Übel. Auf dem Rückweg vom Strand zum Parkplatz, der immerhin knapp zwei Meilen durch triefenden Wald führte, erzählte sie mir, dass sie von einer Zeitschrift den Auftrag bekommen hatte, einen Artikel über den verunglückten Tanker zu schreiben und die Auswirkungen des Ölteppichs auf die Küste und seine Bewohner zu dokumentieren.
    Â»Vor Neah Bay passiert dauernd irgendwas«, sagte sie. »Erst über Silvester wäre es

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