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Der Gesang der Orcas

Der Gesang der Orcas

Titel: Der Gesang der Orcas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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auf einer Schnur.
    Auch mein Vater und Lorraine waren plötzlich da. Papa sagte nichts dazu, dass ich hier am Strand und nicht im Schuppen war. Er fotografierte wie wild, ungeachtet der blutdunklen Lache im nassen Sand, die bald darauf von der einsetzenden Flut fortgespült wurde. Lorraine kam zu uns herüber und legte mütterlich einen Arm um meine Schultern. »Du hast ihn gekannt, nicht wahr?«
    Â»Es ist Bob«, sagte ich. »Er war der Neugierigste von allen.«
    Â»Das ist ihm vielleicht zum Verhängnis geworden«, erwiderte sie und ich sah, dass ihr Tränen in den Augen standen.
    Als die Männer den Magen des Wals öffneten, ging ich näher heran. Schwarze Teerklumpen verklebten die Fischreste in Bobs Magen. Lorraine befragte die Männer und sie erklärten uns, dass die Todesursache nicht unbedingt das klumpige Altöl im Magen des Wals sein musste. Aber es sei auch nicht auszuschließen. Genaueres könnten sie erst sagen, wenn sie das Gewebe seiner Organe untersucht hatten und die Giftstoffkonzentration in seinem Körper genau bestimmen konnten.
    Javid hatte sich von der Menschentraube zurückgezogen und ich sah, dass auch er mit den Tränen kämpfte. Seine Hände waren zu Fäusten geballt. Dass er so leiden würde, hätte ich nicht gedacht. War er doch ein Nachfahre von Walfängern und stolz darauf, dass sein Vater einen Wal mit der Harpune getötet hatte. Aber vielleicht war das etwas, was ich nicht verstehen konnte. Ich ging zu ihm, um ihn zu trösten,doch etwas in der Art, wie er mich ansah, ließ mich schweigen.
    Javids Vorfahren waren Walfänger und er war stolz darauf. Das war die eine Sache. In diesem Augenblick ahnte ich jedoch, dass er die Tradition nicht fortführen würde, auch wenn das der Wunsch seines Vaters gewesen war. Als ich ihn so stehen sah, mit Tränen in den Augen, die er zu bekämpfen versuchte, weil Makah-Männer nicht weinen, da wusste ich, dass er aus Neah Bay fortgehen würde, um irgendwo zu studieren, genauso, wie er es sich erträumte. Und Freda würde ihn gehen lassen, weil sie ihn liebte und wusste, dass er es schaffen konnte.
    Widerstandslos ließ sich Javid von mir umarmen. Alle konnten sehen, dass wir zusammengehörten.
    Â»Ich hoffe, Granny hat die anderen drei in Sicherheit gebracht«, sagte er mit rauer Stimme.
    Â»Bestimmt«, sagte ich, obwohl ich selbst große Zweifel hatte.
    Die Flut überspülte jetzt mit kräftigen Wellen den Strand und nahm mit sich fort, was die Männer nicht in den Kühlwagen verladen hatten. Das Blut des Orcas mischte sich mit den Wassern des Ozeans und wurde hinausgespült ins offene Meer. Auf gewisse Weise war Bob so wieder vereint mit seiner Familie.
    Spät am Abend klopfte es an meiner Zimmertür. »Wer ist da?«, fragte ich. Ich war schon im Bett, hatte aber noch nicht geschlafen.
    Â»Ich bin’s, Papa. Kann ich reinkommen?«
    Diesen Augenblick, in dem er kommen würde, um zu reden, hatte ich herbeigesehnt und mich gleichzeitig davor gefürchtet. Wie gerne hätte ich diese unerträgliche Situation beendet,aber ich war auch nicht mehr bereit Kompromisse zu machen.
    Â»Sofie?«
    Â»Komm rein!«, sagte ich.
    Mein Vater trat durch die Tür und schloss sie behutsam hinter sich. Er wies auf mein Bett und fragte: »Darf ich mich einen Augenblick zu dir setzen?«
    Ich wollte ihn nicht so nah bei mir haben, trotzdem nickte ich. Als er sich setzte, rückte ich ein Stück von ihm ab.
    Â»Ist alles in Ordnung mit dir?«, fragte er zaghaft, als betrete er dünnes Eis. Ich hatte noch Tränenspuren auf den Wangen. Er fragte nicht, warum ich geweint hatte, weil er es wusste.
    Â»Nichts ist okay«, sagte ich. »Der arme Bob ist tot und du behandelst mich, als würde ich unter Arrest stehen.«
    Â»Wenn du unter Arrest stehen würdest, wärst du heute wohl kaum am Strand gewesen.«
    Ich drehte den Kopf zur Seite. War er deshalb gekommen? Um mit mir zu streiten? Danach war mir nun wirklich nicht zu Mute.
    Â»Was willst du, Papa?«, fragte ich und sah ihn wieder an.
    Â»Mit dir reden, Sofie.«
    Â»Ich glaube, da gibt es nichts zu reden.«
    Â»Vielleicht doch. Es ist nicht so, wie du denkst, glaub mir. Ich habe nichts gegen deine Freundschaft mit Javid.«
    Lügner, dachte ich. »Und warum behandelst du ihn dann wie …?«
    Â»Wie behandele ich ihn denn?«
    Â»Wie … wie

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