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Der Gesang des Blutes

Der Gesang des Blutes

Titel: Der Gesang des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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Tragödie?, dachte sie. Im Zusammenhang mit Toms Tod höre ich das Wort zum ersten Mal. Eine Tragödie. … vielleicht gar in drei Akten?
    «Kommen Sie zurecht, da draußen auf dem Lande?»
    «Ja, danke, es geht schon.»
    Barnickel drehte sich auf seinem Stuhl nach hinten und holte eine dünne Akte aus dem Regal. Erster Akt beendet, kommen wir nun zum Geschäftlichen. Kristin wunderte sich über ihre bissigen Gedanken, aber irgendetwas am Benehmen des Mannes störte sie.
    «Sie können sich wahrscheinlich denken, warum ich um ein Gespräch mit Ihnen gebeten habe, Frau Merbold. Sie haben lange nichts von sich hören lassen, und glauben Sie mir, ich habe volles Verständnis … angesichts der Umstände. Leider kommen wir aber nicht daran vorbei, uns über Ihre finanzielle Situation zu unterhalten.»
    Es klopfte an der Tür. Eine junge Frau brachte zwei Tassen Tee. Sie stellte sie lächelnd auf dem Schreibtisch ab und verschwand wieder, wogegen der leichte Duft ihres Parfüms noch ein Weilchen blieb.
    Barnickel ließ zwei Stück Zucker in seine Tasse fallen und rührte langsam darin herum. Kristin führte die Tasse an ihre Lippen und trank. Der Tee war heiß, ein bitterer Geschmack legte sich auf ihre Zunge. Immerhin hatte sie nun aber etwas, womit sich ihre Hände beschäftigen konnten. Da Barnickel sie ansah, während er in seinem Tee rührte, hatte Kristin den Eindruck, er warte auf eine Antwort. Sie räusperte sich, blickte in ihre Tasse. Wo waren die Worte, mit der sie ihre Entschuldigung formulieren wollte? Vergessen. Sie waren weg, einfach so. Dabei waren sie auf der Fahrt ständig in ihrem Kopf gewesen und hatten sich so gut angehört.
    Sie sagte, was ihr gerade einfiel: «In der letzten Zeit … na ja, es ging eben alles drunter und drüber, und … und es war nicht einfach, mich mit der neuen Situation abzufinden. Ich habe einfach vergessen, mich um die Dinge zu kümmern, um die sich sonst mein Mann gekümmert hat.»
    «Jeder hier im Haus versteht Ihre Situation, Frau Merbold.»
    «Danke.»
    «Natürlich dürfen wir aber auch in solchen Situationen die … nun, sagen wir mal, die finanzielle Entwicklung nicht aus den Augen verlieren. Das verstehen Sie doch sicher, nicht wahr?»
    Kristin nickte. «Ich werde das alles wieder in Ordnung bringen.»
    «Natürlich …», sagte Barnickel trocken und klappte den Deckel des Aktenordners auf. «Aber ich sehe da auch gewisse Schwierigkeiten auf uns zukommen.»
    Kristin starrte auf den dünnen Ordner. «Schwierigkeiten?», wiederholte sie, als ob sie nicht damit gerechnet hätte. Barnickel nickte und breitete die Unterlagen vor sich aus. Kristin strengte sich an, konnte aber nicht erkennen, was auf den Blättern stand.
    «Kennen Sie Ihren derzeitigen Kontostand?»
    «Nun … nicht genau.» Verflixt, sie hätte vorher auf ihr Konto schauen sollen. Unruhig, als hätte Barnickel sie bei etwas Verbotenem erwischt, rutschte Kristin auf dem Stuhl hin und her.
    «Derzeit sieht Ihr Konto noch gut aus, weil die Lebensversicherung Ihres Mannes fünfzigtausend Euro überwiesen hat. Das war am letzten Dienstag.» Barnickel nahm einen Kugelschreiber zur Hand und tippte damit auf eines der Blätter. «Doch wir müssen auch einen Blick in die Zukunft wagen, Frau Merbold. Weil ich es für sehr wichtig halte … für Sie, und natürlich auch für die Interessen unseres Hauses. Ihre monatlichen Verpflichtungen, inklusive der Tilgung des Darlehens bei uns, liegen bei circa eintausendsiebenhundert Euro. Dazu kommen noch Ihre privaten Ausgaben, die ich natürlich nicht abschätzen kann. Dem gegenüber stehen derzeit Einnahmen … Witwenrente und Kindergeld … von eintausendvierhundertvierzig Euro.» Er sah sie an mit seinen braunen freundlichen Augen. «Verstehen Sie, was ich damit sagen will, Frau Merbold?»
    Mehr denn je hatte Kristin das Gefühl, sich verteidigen zu müssen, und da Barnickel scheinbar nichts von der Risikolebensversicherung wusste, sagte sie schnell: «Ich verstehe, aber demnächst bekomme ich aus einer zweiten Lebensversicherung meines Mannes noch einmal fünfzigtausend Euro.» Zu ihrer Überraschung nickte er nur schwach.
    «Ja, dabei handelt es sich um die Risikolebensversicherung.» Er blickte sie von unten herauf an. «Sie wissen doch, was es mit dieser Versicherung auf sich hat, Frau Merbold, nicht wahr?» Was es damit auf sich hat? Was soll es damit auf sich haben? Zusammen sind das hunderttausend Euro! Damit komme ich gut und gerne zweieinhalb Jahre lang aus. Was

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