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Der Gesang des Satyrn

Der Gesang des Satyrn

Titel: Der Gesang des Satyrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Fiolka
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den Stadtwachen, der ihm einen Zugang zur Athener Gesellschaft ermöglichen würde. Neaira sah mit Grauen, wie aus dem bösartigen Jungen ein herrschsüchtiger Mann wurde. Ihr erschien der Wandel, den Stephanos Leben und seine Familie in nur drei Jahresumläufen durchmachte, beinahe erschreckend. Sie dachte zurück an das kleine Häuschen in der Straße des Flüsternden Hermes, in dem sie gelebt hatte. Obwohl sie früher darüber gelacht hätte, wünschte sie sich manchmal dorthin zurück - in die Enge und Banalität der kleinen Streitigkeiten. In seinem alten Leben war Stephanos ein nachlässiger Vater und lauwarmer Mann gewesen, der mit seinem Leben haderte und seine Söhne boshafte Knaben, die Neaira verachteten. Nun war Stephanos zu beschäftigt, um überhaupt einen lauwarmen Blick für Neaira übrig zu haben, und seine Söhne waren überhebliche Jünglinge, die sie nicht nur verachteten, sondern als störenden Schandfleck in ihrem neuen Leben betrachteten – ebenso wie ihre Schwester, die sie in der Öffentlichkeit totschwiegen.
    „Früher hatten sie nur ihre Bosheit, jetzt haben sie Geld und damit auch die Macht Böses zu tun“, sinnierte Neaira oftmals, wenn sie mit Thratta und Kokkaline in ihren großen Gemächern saß. Für Stephanos schien endlich die Sonne zu scheinen. Neaira hatte sich einmal gefragt, was Stephanos brauchte, um bissig zu sein. Sie fand die Antwort auf ihre Frage in seinem Beruf. Wo sie ihm Erfolglosigkeit bestimmt hatte, blühte Stephanos auf wie eine giftige Pflanze und gewann fast jeden Streitfall durch kluge und leidenschaftliche Reden, denen kaum jemand etwas entgegenzusetzen fand. Ihr handzahmer Stephanos, der zahnlose Hund, der lauwarme Mann – er wurde von den Männern geachtet und gefürchtet wie kaum ein anderer. Erneut entbrannten auch Streitfälle, bei denen Stephanos auf Apollodoros traf - und den anerkannten Redner hasste Apollodoros noch weitaus mehr als den lästigen Sykophanten. Einmal erschien der Mann mit den stechenden Wolfsaugen sogar in Begleitung zweier junger Männer in Stephanos Haus und drohte ihm sein schlimmster Feind zu werden, wenn er nicht damit aufhörte, sich in Dinge einzumischen, die ihn nichts angingen. Er war wütend, gefährlich, und seine geballte Faust wäre vielleicht in Stephanos Gesicht gelandet, wenn nicht Proxenos eingeschritten wäre. Er packte Apollodoros am Chiton. „Du hättest wohl gerne einen Dolch im Rücken, Apollodoros“, raunte Proxenos ihm zu, während die beiden Begleiter die Flucht ergriffen. Sie kannten den heißspornigen Proxenons, der selbst bei den Stadtwachen gefürchtet war.
    „Das würdest du tatsächlich tun, nicht wahr, Proxenos?“, zischte Apollodoros ihm zu, doch Proxenos und beförderte Apollodoros mit einem Tritt in sein Hinterteil aus dem Andron, wobei dieser wie ein Hund auf alle viere fiel und dann mit hochrotem Kopf davonstakste.
    Stephanos, der das Ganze gemeinsam mit Neaira beobachtet hatte, lachte über den steifen und wenig rühmlichen Abgang von Apollodoros. „Er soll sich vorsehen“, meinte er zu Neaira, während er sich Lachtränen aus den Augen wischte. Neaira lachte nicht, sie wollte wissen, warum Apollodoros so aufgebracht war. Die Brutalität von Proxenos versetzte sie in tiefe Furcht.
    „Ich habe ihn einige Male vor Gericht besiegt“, antwortete Stephanos, und damit war für ihn die Angelegenheit vergessen. Er gab Neaira einen Kuss auf die Stirn und verabschiedete sich, da er noch auszugehen gedachte.
    Neaira spürte, wie die Kluft zwischen ihnen immer größer wurde, wie wenig sie den Mann noch zu kennen glaubte, für den sie Zuneigung empfunden hatte.
    Stephanos Verhalten wurde großspurig und rücksichtslos, er lächelte nur noch selten, um seinen Mund lag ein strenger Zug, und er achtete nicht auf die Nöte und Sorgen seiner unzähligen Sklaven. Fast schien er vergessen zu haben, dass auch er einmal Sorgen gehabt hatte. Dass Neaira das Lager Phrynions teilte, empfand er kaum noch als störend. Tatsächlich suchte er selbst nur noch selten ihr Lager auf, und wenn er es tat, nahm sie nicht selten fremde Duftöle an ihm wahr. „Er besucht die jungen Huren in der Stadt“, erklärte Neaira Kokkaline.
    „Er ist ein Mann, Herrin! Wer wenn nicht du, würde die Männer besser kennen.“
    „Das ist wahr, Kokkaline. Doch keiner von ihnen kam je mit dem Geruch einer anderen zu mir – selbst Phrynion nicht“, entgegnete Neaira bitter.
    Sie zog sich immer mehr von Stephanos zurück, konzentrierte

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