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Der Gesang des Satyrn

Der Gesang des Satyrn

Titel: Der Gesang des Satyrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Fiolka
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bietet euch an, den eigenen Leib zu verkaufen. Ihr solltet mich nicht in euer Herz schließen, nur weil ich in einem Augenblick großzügig euch gegenüber bin. Das Leben hat mich hart und mitleidlos gemacht. Ich habe ein Herz, doch es ist nicht groß genug, um eure Treue und Liebe zu verdienen.“ Sie schlang die Arme um den Körper als wäre ihr kalt. „Nein, Kokkaline! Ich mag euch schlagen und euch die Zuneigung zu mir in den kommenden Jahren noch oft mit Schlägen vergelten. Aber eines werde ich euch beiden versprechen. Ihr sollt euren Leib nicht an die Männer verkaufen müssen, wie ich es mein ganzes Leben lang tun musste! Soviel Herz besitze selbst ich.“
    Neaira schlug Thratta oft wegen geringen Dingen, aus Übellaunigkeit, wenn sie nicht schnell genug das Essen zubereitete oder zu langsam arbeitete. Auch Kokkaline bekam ab und an den Gürtel Neairas zu spüren. Doch keine von ihnen musste ihren Körper verkaufen.
    Stattdessen begann Neaira nach den ersten drei Mondumläufen auch Männer in ihrem Haus zu empfangen, die ihre Dienste mit ein paar Obolen entlohnten. Niemals empfing Neaira jedoch einfache Arbeiter, Soldaten oder Seeleute, und niemals setzte sie einen Fuß über die Schwelle des Hauses, in welchem die Wirtin ihre Räume vermietete. Sie zwang sich zur Sparsamkeit, trug den Gästen guten Wein auf, trank jedoch selbst Wasser, wenn sie alleine war. Sie ließ Thratta noch mehr Gemüse anbauen und schickte sie auf den Markt eine Ziege zu kaufen, damit sie Milch hatten. Kokkaline musste den alten Esel verkaufen, auch wenn es Neaira leidtat. „Ich hätte ihm gerne ein friedliches Alter geboten, doch nun wird er Lasten schleppen müssen, bis er einfach tot umfällt.“ Zum Abschied fuhr sie durch die langen Ohren des Tieres, das sich gutmütig von Kokkaline wegführen ließ.
    Neaira führte nach außen hin ein gehobenes Haus, und die wenigen Gäste fragten sie mit Bewunderung in der Stimme, wie es ihr in diesen schwierigen Zeiten gelang, ein derart kostspieliges Leben zu führen. Dann lachte Neaira fröhlich und winkte ab. „Ich bin die Tochter Aphrodites, und wenn die Herren auch ihre Töchter und Gattinnen knapphalten, so doch nicht mich!“
    Das beeindruckte die Männer, und sie wurden großzügiger und versuchten sich gegenseitig in ihren Geschenken zu übertreffen. Sie ahnten nicht, wie gering ihre Geschenke im Vergleich zu denen waren, die Neaira in ihrem Leben schon erhalten hatte. Keiner der Männer wusste, dass sie kaum mehr als ungesäuertes Brot und Gemüse aß, wenn sie abends mit ihren beiden Sklavinnen speiste. Sie hatten keine Ahnung davon, wie sehr Kokkaline bemüht war, die Gewänder ihrer Herrin auszubessern, sodass man ihnen nicht ansah, wie abgetragen sie waren.
    Aus Fenstertüchern und Polsterbezügen nähte sie Peploi, Chitone und Mäntel für Neaira, die sich weiterhin großzügig und unbekümmert im Angesicht ihrer Gäste gab.
    „Wenn sie bemerken, dass es mir ebenso schlecht geht wie ihnen und dass ich nicht den Zauber Aphrodites besitze, wird ihre Großzügigkeit so schnell verfliegen wie Asche im Wind ... dann bleibt uns nichts mehr“, sagte Neaira abends zu Kokkaline, wenn diese ihr in die ausgebesserten Chitone half. Kokkaline dachte an das sorglose Leben, welches die Herrin in Athen geführt hatte. Wenn sie doch nur nach Athen hätten zurückkehren können. Dort hätten sich genügend Herren gefunden, die sie großzügig beschenkten.
    „Glaubst du nicht, dass Phrynion dich bereits vergessen hat?“
    „Lass dir eines gesagt sein, Kokkaline. Phrynion vergisst niemals ... und er vergibt auch nicht. Nach Athen zurückzukehren, wäre wie in den geöffneten Rachen eines Löwen zu laufen.“
    Also blieben sie, während Thratta und Kokkaline weiterhin versuchten, ihre Herrin mit dem Anschein des Wohlstands zu umgeben.

13. Kapitel
Der Herr aus Athen
    An einem heißen Sommernachmittag trat ein Herr mittleren Alters ins Andron und fragte nach einer Erfrischung. Er war groß und nicht mehr ganz jung, sein Chiton umhüllte seinen Körper in einer nicht sofort erkennbaren Nachlässigkeit, so als hätte er ihn gedankenlos angelegt. Die Nadeln, welche ihn auf seinen Schultern hielten, saßen schief. Er trat über die Schwelle von Neairas Haus und blieb dann stehen als wäre er nicht wirklich bereit einzutreten. Seine Blicke wanderten unstet durch das Andron.
    Neaira fand ihn auf eine erheiternde Art tollpatschig, während sie ihn von ihrer Kline aus beobachtete und sich mit einem

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