Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Gesang des Wasserfalls

Der Gesang des Wasserfalls

Titel: Der Gesang des Wasserfalls Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Di Morrissey
Vom Netzwerk:
Schrei aus. »Ich hab einen gefunden!« Mit dem Fingernagel hob sie einen schimmernden, aber undurchsichtigen Stein heraus, kaum ein Viertel Karat, und legte ihn auf ihre Handfläche. Lester kam zu ihr gelaufen.
    Madi war fast atemlos. »Das ist doch einer, oder, Lester? Ein echter Diamant?«
    »Jawoll, das is einer. Guyanadiamanten sind sehr hart, sehr hell. Gute Qualität. Okay, finden Sie mehr davon, und wir sind im Geschäft.«
    Innerhalb einer Stunde hatten sie zwei weitere gefunden, und Lester entschied, sie sollten ihre Anstrengungen auf diesen Teil des Claims konzentrieren.
    Seite an Seite arbeiteten sie weiter, sprachen kaum, konzentrierten sich auf das, was sie taten, wurden rhythmischer und zielsicherer in ihren Bewegungen. Diese rein körperliche Arbeit, die zu dem sonst bei ihrer Arbeit üblichen Reden, Denken und Verhandeln mit anderen Menschen so völlig im Gegensatz stand, hatte etwas, was Madi gefiel. Irgendwann hatte sie das seltsame Gefühl, aus ihrem Körper aufzusteigen und hoch über den zwei Gestalten zu schweben – eine groß und dunkel, die andere kleiner und blond –, zwei kleinen Pünktchen neben dem Streifen fließenden Wassers, zu Zwergen geschrumpft vor dem sie umgebenden Dschungel.
    Hin und wieder tauschten Madi und Lester einen Blick aus, ein rasches Lächeln, eine gemurmelte Bemerkung, aber sie unterbrachen ihre Arbeit nicht.
    Gegen Mitte des Nachmittags musste Madi einfach in den Bach tauchen, um ihre erhitzten und schmerzenden Muskeln abzukühlen.
    Lester wusch weiterhin Sand und Kies im Spülkasten aus. »Das is die letzte Ladung«, rief er ihr zu. »Immer die beste, sag ich jedes Mal. Selbst wenn nix drin is, isses die letzte Box vom Tag, und das hat doch sein Gutes, eh?«
    Sie sah zu, wie er den Waschtrog mit der letzten Kiesmischung hochnahm. Sorgfältig wusch er den Sand aus und goss eine Portion Quecksilber hinein, fuhr dann mit dem Finger hindurch und stieß ein zufriedenes Schnauben aus. Madi schaute auf den Boden des Waschtrogs und sah, dass ein Häufchen Goldnuggets und Goldkrümel am Quecksilber klebte.
    »Und wie kriegen Sie das raus?«
    Lester nahm ein Taschentuch, schüttete den Klumpen aus der Pfanne hinein und drückte es aus. Das Quecksilber rann heraus und tropfte in ein Glas. Übrig blieb nur das Gold.
    »In der Stadt bring ich das Gold zur Goldkommission, die säubern es dann mit 'nem Gebläsebrenner, um die Verunreinigungen rauszukriegen. Wiegen's und bezahlen mich. Ganz einfach, eh?«
    Lester war äußerst zufrieden mit der Tagesarbeit. Er reichte Madi ein kleines Glasfläschchen, das mit einem Korken verschlossen war. Die Diamanten lagen auf dem Boden.
    Madi hielt es gegen das Licht und drehte es langsam um. »Macht ja nicht viel her nach all dieser Schufterei.«
    »Wie Sie gesagt ham, Madi, keine Bange. Morgen tun wir noch mehr dazu, eh?«
    »Ich hoffe.« Wieder betrachtete sie die kleinen Steine, beinahe hypnotisiert von diesen Stückchen komprimierten und kristallisierten Kohlenstoffs. Jetzt verstand sie die Verlockung und die Besessenheit, die Lester und all die anderen Pork-Knockers antrieb. Sie konnte nachvollziehen, warum Männer – und Frauen wie Gwen – die Härten und Entbehrungen dieses Lebens auf sich nahmen und manches Risiko eingingen, nur um diese funkelnden Lichtpunkte zu finden, die die Natur tausende von Jahren versteckt gehalten hatte.
    Lester lächelte sie an. »Seien Sie vorsichtig, Madison, Sie ham das Glitzern vom Diamantenfieber in den Augen.«
    Sie lachte und gab ihm das Fläschchen zurück, das er zusammen mit seinem Taschentuch in die Tasche steckte.
    Lester ging voraus zum Lager und bat Madi, alles für den nächsten Tag bereitzumachen. Als sie fertig war, ging sie ein wenig am Bach entlang. Die letzten Sonnenstrahlen sickerten durch das grüne Dämmerlicht des Blätterdaches. Madi hatte ihre Turnschuhe um den Hals gehängt und watete durch das flache Bachwasser, unter den Füßen den weichen Teppich versunkener brauner Blätter.
    Es war eine dämmrige, in sich geschlossene Welt, und Madi blieb stehen, um Eidechsen und Insekten zu beobachten und entzückt zuzuschauen, wie vor ihr ein blauer Schmetterling aufflatterte. Behutsam stocherte sie in dem moosigen Grund und betrachtete versunken winzige Pflanzen und Blumen. Mit Erstaunen schaute sie sich um und wurde sich bewusst, dass ihre Aufmerksamkeit und ihr Interesse auf die kleinen Dinge in ihrer unmittelbaren Umgebung zusammengeschrumpft waren. Georgetown schien weit weg,

Weitere Kostenlose Bücher