Der Gesang des Wasserfalls
Schwenk zurück auf die Parade. Kevin ließ das Band zurücklaufen und schaltete bei dem Mann mit dem Blasrohr auf Standbild. Xavier schüttelte den Kopf. »Ich habe keine Ahnung, wer das ist. Er stammt nicht aus meinem Volk, auch wenn er so aussieht, aber die Gesichtsbemalung entspricht nicht der Tradition. Wer könnte Ihrer Meinung nach dahinterstecken?«
»Sie meinen, Sie wissen es wirklich nicht?«, fragte Connor.
Wieder schüttelte Xavier den Kopf. »Es gibt so viele, die ein Motiv haben könnten, Bacchus umzubringen, vor allem, nachdem er als der Mann identifiziert worden ist, der die Hinrichtung von Madi und Connor anordnete.«
»Genau, was ich gesagt habe«, ergänzte Johns.
»Ich sage die Kundgebung ab«, verkündete Xavier ruhig. »Natürlich werden die Polizei und die Medien viel Wirbel um die Sache machen. Wir müssen uns davor hüten, durch rassistische Schlussfolgerungen eine bereits heikle Situation noch zu verschlimmern. Unsere politischen Feinde könnten viel gewinnen, wenn sie mich für das Geschehene verantwortlich machen.«
»He, schaut euch das an«, rief Kevin, der das Video hatte weiter vorlaufen lassen. Er spulte es ein Stück zurück und hielt das Band an. »Schaut mal, wer da am Rand des Zuges steht.«
»Antonio Destra! Was macht der denn da?«, fuhr es Madi heraus.
»Hat sich vielleicht unters Volk gemischt, um sich die Parade anzusehen«, meinte Stewart Johns.
»Verdammt eigenartig«, bemerkte Gordon Ash. »Wer ist der Kerl, abgesehen davon, dass er mit Bergwerksmaschinen handelt?«
»Ein Geschäftemacher der alten Schule. Er hat überall seine Pfoten drin, kennt jeden und ist, nach hiesigem Standard, absolut sauber, so viel ich gehört habe«, sagte Johns. »Kennen Sie ihn, Xavier?«
»Destra kennt, wie Sie sagen, jeden. Er hat Pieter van Horens Projekt zur Erforschung pharmazeutisch verwertbarer Pflanzen finanziell unterstützt. Niemand hat ihn dazu aufgefordert, er kam vor ein paar Monaten von sich aus und sagte, er würde gern helfen, ohne dass es an die große Glocke gehängt würde. Er stellte sofort einen Scheck aus.«
Alle verfielen in Schweigen, alle versuchten zu begreifen, wie Antonio Destra in dieses auch ohne ihn schon komplizierte Puzzle passte. Weitere Drinks wurden herumgereicht.
»Er war in
New Spirit
, als Ernesto St. Kitt ermordet wurde«, sagte Matthew mit leiser, nüchterner Stimme.
Madis Herz setzte kurz aus. »Ich dachte zuerst, er wäre einer der Männer, die ich da nachts in
New Spirit
beim Drogennehmen gesehen habe. Aber dann dachte ich, ich müsse mich geirrt haben. Er wirkte so wie ein solider Familienvater.«
Die Blicke richteten sich wieder auf Xavier, als erwartete man von ihm eine Erklärung, aber Xavier zuckte nur die Schultern und hob mit einer hilflosen Geste die Hände.
Während die Männer weiterdiskutierten, machte Madi Kaffee und versuchte, Ordnung in ihre verwirrten Gedanken zu bringen. Sie ging zurück auf den Balkon, setzte sich in einen Korbstuhl und schaute hinauf zum tropischen Nachthimmel, als könnte die Antwort in den Sternen stehen.
Einerseits empfand sie Erleichterung, dass eine ernsthafte Bedrohung für Guyanas Zukunft aus dem Weg geräumt war. Doch diese Erleichterung wurde durch das beunruhigende Gefühl gedämpft, dass sie sich, falls sie sich entschließen sollte, für das zu kämpfen, was sie für richtig hielt, neue Feinde schaffen und ihr Leben wieder in Gefahr bringen würde.
Lester kam mit einem Bier heraus und hockte sich neben sie. »Sie sehn nich sehr glücklich aus, Miss Madison. Sollten Sie aber, wo Sie jetzt wieder sicher sind. Nun sieht alles viel besser aus.«
Madi sah ihn liebevoll an. »Glauben Sie das wirklich, Lester, ehrlich?«
»Warten wir's ab, eh? Schaun wir, was der Tag morgen bringt oder übermorgen«, riet ihr Lester.
Drinnen im Haus goss sich Johns einen weiteren Whisky ein, trat dann auf den Balkon, nickte Madi und Lester zu und schlenderte ans andere Ende. Er schaute zum Himmel hinauf, als erwartete auch er, dort Antworten zu finden. Doch er hatte bereits eine.
Kann nicht begreifen, warum ich so lange gebraucht habe, dachte Johns und nahm einen Schluck von seinem Drink. Werde wohl alt, die Rädchen drehen sich nicht mehr so schnell. Die verdammte CIA , für die arbeitet Destra. Verdammte CIA . Muss einfach so sein. Die perfekte Tarnung für einen Undercoveragenten. Sollte man aber nicht unbedingt ausposaunen. Der letzte Akt dieses kleinen Dramas hat noch nicht begonnen, so viel steht
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