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Der Gesang des Wasserfalls

Der Gesang des Wasserfalls

Titel: Der Gesang des Wasserfalls Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Di Morrissey
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Sie diese Moschusblätter, während ich die Gebete spreche.«
    Oh, jetzt kommt's, dachte Matthew. Aber er blieb still sitzen, denn nach einem ersten Hitzeschwall fühlte sich sein Nacken lockerer an, die Schwellung und die Spannung schienen nachgelassen zu haben. Er nahm an, dass das an der Wirkung eines pflanzlichen Heilmittels lag. Doch innerhalb von Minuten wurde er schläfrig und hatte Mühe, die Augen offen zu halten. Er nahm wahr, dass Silk etwas über das Buch Mose und den 29. Psalm sagte, der böse Geister vertrieb, dann hörte er nichts mehr.
     
    Kevin erwachte früh nach einer ruhelosen Nacht. Für gewöhnlich war er kein Frühaufsteher, aber er tappte auf die Veranda, bemerkte, dass Matthews Tür offen stand und steckte den Kopf ins Zimmer.
    »Matthew?«
    Als er sah, dass das Zimmer leer war, wollte er sich abwenden, aber da fiel ihm etwas ins Auge. Kevin ging zum Bett und hob das blutige T-Shirt hoch. »Matthew …?« Er lief ins Badezimmer, fand auch das leer, entdeckte aber das Blut im Waschbecken und ein blutiges Handtuch. »Großer Gott, was ist denn bloß passiert …« Er rannte aus dem Zimmer.
    Innerhalb weniger Minuten standen ein Hausdiener und eines der Mädchen mit geweiteten Augen in Matthews Zimmer. »Wir ham nix gehört, Chef.«
    »Ich rufe besser Stewart Johns an …«
    Der Hausdiener bückte sich neben dem Bett. »O mein Gott, das is der Teufel. Er is gebissen worden.«
    »Was?« Kevin wirbelte herum. Der Afrikaner zeigte auf den Boden. Kevin hastete zu ihm. »Was, was sagen Sie da?«
    »Hier, Chef. Die Teufelsfledermaus.«
    »Mein Gott, ist das eine Vampirfledermaus?«
     
    Matthew öffnete die Augen und sah, dass er auf einem schmalen Bett lag und draußen hell die Sonne schien. Er schoss hoch, griff mit der Hand an seinen Nacken. Ein ordentliches weißes Mullviereck war über die Wunde geklebt. Plötzlich fühlte er sich stark und außerordentlich hungrig.
    Kaum hatte er die Füße auf den Boden gesetzt, erschien eine lächelnde Shanti im Zimmer. »Geht Ihnen was besser jetzt, denk ich, hm?«
    »Gott, wie spät ist es? Was ist passiert?«
    »Silk sagt, Geister ham Blut rausgesaugt, böse Sachen reingetan. Silk hat sie rausgeholt. Hat gute Sachen reingetan. Hat Sie mit totem Wasser gewaschen und Gebete gesprochen. Jetzt sind Sie ein guter Guyaner, gehn zum Obeah-Mann, ja?«
    »Sieht so aus. Auf jeden Fall fühle ich mich viel besser. Was ist totes Wasser, Shanti?«
    Sie hantierte herum, sah ihn nicht an, antwortete aber ganz sachlich. »Wasser, wo sie die Toten mit waschen.«
    Ein Ekelschauder durchlief Matthew, und sein Magen drehte sich um, aber er weigerte sich, genauer darüber nachzudenken. »Ich sollte besser ins
Wanika House
zurückgehen, bevor jemand in Panik gerät.«
    »Ich muss Frühstück machen, kommen Sie, wir gehn. Tun Sie Silk ein andermal Lebwohl sagen. Er hat zu tun.«
    »Muss ich ihm etwas bezahlen?«
    »Ja, Mr. Matthew. Nur 'n bisschen was. Ham Sie amerikanische Dollars?«
    »Nein. Jetzt nur noch guyanisches Geld.«
    Shanti lachte. »Für viel guyanisches Geld kriegt man wenig, eh? Tun Sie ihm zehn Dollar geben. Silk sagt, das war leicht.«
    Matthew griff in die Tasche seiner Jeans, um seine Geldbörse herauszuziehen, und entdeckte einen kleinen Beutel, der daneben steckte. Er drehte das Lederbeutelchen um. »Was ist das?« Er hielt es hoch, wollte es öffnen. »Bah, riecht das widerlich.«
    »Das is Ihr Talisman. Obeah-Mann sagt, den müssen Sie immer bei sich tragen. Tut Sie beschützen.«
    »Keine Bisse mehr, was?« Matthew schaute etwas verwirrt auf den sauber zusammengenähten, wasserdichten Beutel. Er öffnete ihn und fand einen Papierschnipsel mit Hindu-Buchstaben und ein Stückchen stark riechendes Gummiharz.
    »Asafoetida … riecht schlecht, hält aber die bösen Geister ab«, erklärte Shanti.
    »Und Freunde wahrscheinlich auch.« Matthew grinste und steckte den Beutel wieder in die Tasche, zog zehn Dollar heraus und legte sie auf den Tisch neben eine Kerze und frische Blumen.
    Sie gingen den schmalen Weg zurück, auf dem jetzt morgendliche Geschäftigkeit herrschte. Matthew staunte über den Unterschied zwischen gestern Nacht, als er furchtsam und kraftlos diesen unbekannten Pfad entlanggestolpert war, und jetzt, da er im Sonnenlicht hier entlangging und sich außerordentlich wohl und aufgekratzt fühlte.
    Sie kamen an die Auffahrt, und Matthew blickte voller Entzücken auf die scharlachroten Blüten an einem Baum, auf das große weiße
Wanika

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