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Der Gesang des Wasserfalls

Der Gesang des Wasserfalls

Titel: Der Gesang des Wasserfalls Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Di Morrissey
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der Schnitzerei. Sie betastete eine Figur, die ihr der Holzschnitzer hinhielt, und sah ihn mit einer Bewunderung an, die nicht nur seiner Arbeit galt. Er war ein riesiger Afrikaner, der aussah, als sei auch er kunstvoll aus feinstem Ebenholz geschnitzt.
    »Alles Holz aus Guyana, mach ich alles selbst«, sagte er und hielt ihr eine weitere Schnitzerei zum Anschauen hin.
    »Eine sehr schöne Arbeit. Aber ich wollte jetzt eigentlich noch nichts kaufen.«
    »Aber was Besseres gibt's nich. Ich komm nich oft in die Stadt. Bin meistens im Busch. Besser, Sie kaufen jetzt was von mir«, redete er ihr zu.
    »Nein. Heute nicht.« Sie schüttelte den Kopf.
    Er schlug sich mit der freien Hand an die Stirn. »Mann, ham Sie harte Ohrn.«
    Madison sah den Fahrer an, der in sich hineinlachte. »Er sagt, Sie sind dickköpfig, Madam.«
    »Sie tun nich mal nach'm Preis fragen. Ich mach Ihnen 'n sehr guten Preis. Ich hab was, das hab ich nur für Sie gemacht. Das weiß ich.« Er wühlte in seinem Netz, das er sich über die Schulter gehängt hatte.
    »Nein, wirklich nicht.« Madison griff nach der Autotür, die der Fahrer für sie aufhielt, und glitt auf den Sitz. Der Holzschnitzer streckte seine Hand durch das Fenster und öffnete die Faust. Ein kleiner Frosch war darin verborgen. Madison warf einen Blick darauf, sah ihn sich dann genauer an und nahm ihn wie einen zerbrechlichen Schatz in die Hand.
    Er war aus hellem, poliertem Holz geschnitzt und glänzte wie Gold. Die Beine waren sorgfältig unter dem Körper angewinkelt, und die Hautstruktur hatte der Künstler durch feine Linien angedeutet. Aber das kleine Geschöpf wirkte so kraftvoll und lebendig, dass Madison einen kurzen Moment lang das Gefühl hatte, es könnte ihr von der Hand hüpfen. Das hölzerne Gesichtchen war ausdrucksvoll, ein leichtes Grinsen umspielte das breite Maul, und in den geschnitzten Augen lag eine leise Belustigung, die sie erstaunte. Madi war augenblicklich davon angetan. Durch das Fenster sah sie in die seltsamen, fragenden Augen des Künstlers. »Sie wissen, das hab ich nur für Sie gemacht. Is Ihr Glücksbringer. Dieser Frosch is Ihr Schicksal.«
    »Wie viel?«
    »Eintausend. Is nur klein. Aber is 'n mächtiger Geist.«
    »Fünfhundert.« Madison griff in ihre Tasche und hielt ihm einen der Scheine hin, die sie in der Bank eingewechselt hatte. »Entweder das oder gar nichts.«
    Sie hoffte, er würde das Geld nehmen. Plötzlich wollte sie den Frosch unbedingt haben.
    Der Mann nahm den Geldschein. »Ich nehm das bloß, weil ich weiß, dass er zu Ihnen gehört.«
    »Wir sehn uns, Bruder«, sagte der Fahrer und ließ den Motor an. Als er sich in den Verkehr einfädelte, sprach er weiter: »Der Mann is gut. Einer von den besten, wo ich kenn. Kommt fast nie in die Stadt. Ihr Glückstag, eh?«
    »Ich bin ganz verliebt in das Tierchen. Ich fühle, dass dieser kleine Frosch symbolische Bedeutung für mich hat.« Sie dachte an die Worte des Holzschnitzers, die sie für das übliche Gerede eines Straßenhändlers gehalten hatte. Seltsam, dass er das gesagt hatte, dachte sie und wiederholte die Worte im Kopf. »Sie wissen, das hab ich nur für Sie gemacht. Dieser Frosch is Ihr Schicksal.« Wie konnte das sein?
    »Is nich nur irgendein Frosch. Is der goldene Kaieteur-Frosch. Is … wie sagt man … sind nich mehr viele von da.«
    »Vom Aussterben bedroht? Die Art ist ebenso bedroht wie der amerikanische Seeadler und der australische Koalabär?«
    »Davon weiß ich nix. Aber unser Goldfrosch, der is ganz selten. Der schönste der Welt. Aber überall auf der Welt verschwinden die Frösche.«
    »Ich glaube, das ist bei uns auch so. Woran liegt das, was meinen Sie?«
    »Man sagt, kommt vom Wasser, von der Luft, von der Erde, alles vergiftet. Hier bei uns wird im Dschungel viel kaputtgemacht. Die Regierung hat 'ne Menge Holzfäller ins Land gelassen, und jetzt is da auch noch die große Kolumbus-Goldmine. Nich gut für die Indios oder den Wald, wo sie drin leben. Aber dieses Land muss irgendwie zu Geld kommen. Wie wir alle.« Er gab sich seinen Erinnerungen hin. »Mann, das war schon was, wo ich den kleinen Frosch gesehn hab. Hatte Augen wie Diamanten.«
    »Wo war das?«
    »An 'nem Nebenfluss vom Mazaruni.«
    »Was haben Sie dort gemacht?«
    »Ich bin eigentlich 'n Pork-Knocker.«
    »Was ist ein Pork-Knocker?«
    Der Fahrer lachte. »Einer, wo nach Diamanten sucht. Sann mal von Porks, von wilden Schweinen, gelebt ham. Die meisten sind weit oben an den großen Flüssen.

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