Der Gesang des Wasserfalls
wachsartigen, klebrigen Pflanzen.«
»Ja, und sie enthalten ein kleines Geheimnis. Sie speichern Wasser vom Sprühnebel der Fälle, und in diesem Wasser lebt ein winziges Wesen namens
Colosthetus beebei
. Man findet es ausschließlich in diesen besonderen Pflanzen.«
»Und was ist das?«, fragte Sharee.
»Ein Frosch. Ein kleiner goldener Frosch. Verdankt seine wissenschaftliche Bezeichnung K. G. Noble vom
American Museum of Natural History
, der ihn 1923 entdeckte.«
»Ich habe eine alte Dokumentation über diese Frösche im Fernsehen gesehen!«, rief Sharee. »Diese englische Naturfilmreihe von … wie heißt er doch … Sir Gavin Rutherford.«
»Genau«, sagte Pieter. »Und nachdem ich mich jetzt vom Wohlergehen meiner
beebei
-Freunde überzeugt habe, kann ich meine Reise fortsetzen.«
»Warum mussten Sie sich davon überzeugen?«, fragte Madi.
»Na ja, die Wissenschaftler glauben, dass diese Frösche – diese Handvoll lebender Schmuckstücke – ein Zeitmesser für die Zukunft sind.« Er schaute seine Zuhörerinnen an, die ihm interessiert lauschten. »Diese Frösche quaken nicht, wie man es sonst von Fröschen gewohnt ist. Stattdessen singen sie, ein trauriges kleines Lied. Sie singen von der Schönheit und dem Gleichgewicht der Natur. Solange sie singen, ist mit unserer Erde alles in Ordnung. Sie sind die Vorboten des Gesundheitszustands unseres Planeten. Und wenn die Frösche aufhören zu singen, bedeutet das, dass der Planet und alles, was es auf ihm gibt, stirbt.«
»Besteht denn die Möglichkeit, dass die Frösche sterben?«, fragte Madi. »Wir machen uns Sorgen wegen des Ozonlochs und des sauren Regens und der Tatsache, dass einige unserer australischen Frösche verschwunden sind.«
»Wir nehmen an, dass die Zeit auf unserer Seite ist, aber wir müssen sie weise nutzen und versuchen, den Krieg zwischen Habgier, Politik, Dummheit und Ignoranz zu verstehen«, sagte Pieter. »Jetzt muss ich weiter, der Tag neigt sich dem Ende zu. Ich habe ein kleines Boot und einen Außenbordmotor ein Stück weiter unten. Ich bin auf dem Rückweg zu meinem Camp am Fluss, und dann reise ich weiter nach Brasilien.«
»Kommen Sie und trinken Sie erst noch ein kaltes Bier bei uns«, sagte Sharee, »solange wir noch Kerosin für den Kühlschrank haben. Mr. Bell hat nicht mehr viel davon.«
»Nein, vielen Dank. Es ist schon spät, und ich will vor Einbruch der Dunkelheit im Camp sein. Übrigens, im Dorf der Pork-Knockers oben an den Fällen gibt es Kerosin zu kaufen«, sagte Pieter. »Es ist allerdings fünfmal so teuer wie anderswo. Das heißt, wenn Sie bereit sind, die Kanister wieder hinunterzutragen.«
»Für die Bells können wir das wohl machen«, sagte Sharee.
»Da oben gibt es ein Dorf?«, rief Madi. Sie war ein bisschen enttäuscht. So ein Außenposten der Zivilisation passte nicht zu ihrem Bild dieser abgelegenen Fälle.
Pieter hörte die Enttäuschung in ihrer Stimme. »Nur eine kleine Siedlung für die Pork-Knockers, die weiter oben am Potaro nach Gold schürfen. Keine Bange, es gibt noch keine Souvenirläden.« Er schenkte ihr ein breites Grinsen. »Ich hoffe, Sie genießen das Erlebnis der Kaieteurfälle. Es ist wirklich etwas ganz Einmaliges. Kennen Sie die Legende?«
Als Madi den Kopf schüttelte, lächelte er die drei jungen Frauen an. »Der alte Kaie war ein Stammesangehöriger der Patamona, die weiter oben am Potaro leben. Er war seinen Verwandten zur Last geworden, also luden sie ihn und all seine Besitztümer in ein Rindenkanu und ließen es stromabwärts treiben. Der alte Mann stürzte über die Fälle zu Tode. Bald danach, sagen die Patamonas, sei sein Kanu in Form eines scharfen Felsens wieder aufgetaucht, und im Westen des Flussbeckens nahmen seine Besitztümer die Form eines riesigen, quadratischen Felsens an. Sie können die beiden Felsen von da oben aus sehen. Nachdem ihm also dieses tragische Ende widerfahren war, nannten sie die Fälle Kaieteurfälle, nach ihm.«
»Wie traurig«, sagte Sharee.
»Man stelle sich das vor, einfach über die Fälle geschubst zu werden, nur weil man alt ist«, sagte Viti.
»Manche bevorzugen es immer noch, auf diese Weise zu sterben«, meinte Pieter. Als er dann ihre trübsinnigen Gesichter sah, fügte er aufmunternd hinzu: »Aber Sie werden merken, dass der Kaieteur immer in Ihren Herzen bleiben wird.«
Er griff nach seinem Beutel und wandte sich noch einmal zu Madi um. »Vergessen Sie nicht, meine goldenen Freunde zu begrüßen.«
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Elftes
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