Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Geschichtenverkäufer

Der Geschichtenverkäufer

Titel: Der Geschichtenverkäufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jostein Gaarder
Vom Netzwerk:
Nerven fallen. Es ist paradox, aber wären in den zurückliegenden achthundert Jahren ebenso viele Romane verfaßt worden wie in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, wäre niemand von uns mehr in der Lage, zu der schlichten, aber amüsanten Geschichte von Ingebj0rg zurückzufinden. Das Massiv der schriftlichen Überlieferung wäre unüberwindlich. Ingebj0rg hat mich geliebt, als ich in Stavanger war - die leidenschaftliche Liebesgeschichte ist in minimale Form gebracht und trotzdem von Konnotationen erfüllt. Einiges kann der Leser sich außerdem denken. Er hat genug Stoff, um selbst weiterzudichten. An einem Roman von vierhundert Seiten dagegen jedoch dichtet man nicht weiter.
    Es war zu leicht geworden, Bücher zu schreiben, und die Computer machten es noch leichter. Autoren, die auf altmodische Weise geschrieben hatten, also mit der Hand oder der Schreibmaschine, hielten per Computer verfaßte Bücher für zweitrangige Literatur, einfach, weil der eigentliche Schreibprozeß zu einfach geworden war. Die Maschinen wurden zur Gefahr für die Dichtkunst erklärt, und der Dämon der Maschine war das, was »elektronische Textverarbeitung« genannt wurde. Ein verwandter Dämon war bereits in der Renaissance ausfindig gemacht worden, als viele glaubten, die Buchdruckerkunst bedrohe die Schriftkultur. Doch auch gedruckte Bücher ließen sich lesen, und das von mehr und mehr Menschen, das war bald nicht mehr zu übersehen. Aber noch für lange Zeit galt ein gedrucktes Schriftstück nicht als echtes Buch, sondern als Surrogat.
    Natürlich gab es immer wieder Autoren, die mit dem von mir gekauften Material nicht weiterkamen. Auch sie bedeuteten eine Gefahr für meine Tätigkeit. Sie mußten irgend jemanden für ihr Scheitern verantwortlich machen, und in mir fanden sie einen passenden Sündenbock.
    Nicht nur Debütanten waren frustriert, wenn aus meinen Synopsen keine Bücher wurden. Frustrationen gab es auch bei denen, die früher schon ein eigenes Buch herausgebracht hatten. Denn natürlich wurde manches von den Verlagen verworfen, und dort hatte ich anfangs keinen Einfluß. Die Ablehnungsrate liegt seit langem stabil bei über neunzig Prozent. Aber viele Projekte strandeten schon, bevor sie abgelehnt werden konnten. Einzelne Kunden kamen dann zu mir und wollten das Geschäft wieder rückgängig machen. Das war nicht nur kindisch, es widersprach auch unseren klaren Abmachungen. Dennoch ließ ich mich darauf ein. Ich verlor natürlich meinen Verdienst, denn die zurückgegebenen Notizen konnte ich kein zweites Mal verkaufen, aber mir war es lieber so. Wer darauf bestand, bekam sein Geld zurück. Ich hatte längst keine finanziellen Probleme mehr und mußte strategisch denken. Ich hatte auf den guten Ruf des Autorenhilfswerks Rücksicht zu nehmen.
    Es lag in der Natur der Sache, daß ich die Waren, die ich anbot, vor dem Verkauf nicht begutachten lassen konnte. Ich konnte auch keine zehntägige Rückgabefrist einräumen. Hatte ein Klient erst den Anfang einer Synopsis gelesen, kam es entweder zum Abschluß oder ich nahm die Idee unwiderruflich vom Markt. Wieder galt es, um den heißen Brei herumzureden, und wieder tat ich es gern. Nicht umsonst hatte ich Frauen so kunstvoll zu fragen gelernt, ob sie mit mir schlafen wollten, daß sie es gar nicht bemerkten und ich dennoch die gewünschte Antwort bekam. Hier wie dort brach ich die Verhandlungen ab, wenn ich auf Begriffsstutzigkeit stieß.
    Erst, als ich mich auch im Ausland etabliert hatte, konnte ich einem deutschen oder französischen Autor eine Synopsis verkaufen, an der sich einige Jahre zuvor ein norwegischer Kollege versucht hatte. In einigen wenigen Fällen kam es dabei zu kleinen Bränden, die ich in aller Eile löschen mußte, aber ich erwies mich auch als guter Feuerwehrmann. Einen Brand zu löschen ist etwas Ähnliches wie jemanden zu trösten.

    Einen wichtigen Wendepunkt erreichte ich, als mir zu Beginn der achtziger Jahre aufging, daß ich mich nicht mit einem Einmalhonorar für eine Synopsis begnügen mußte, wenn daraus theoretisch ein Bestseller werden konnte. Ich fing an, um einen Anteil an den künftigen Tantiemen für solche Bücher zu verhandeln, etwa ab dem Zeitpunkt, wenn mehr als fünf- oder zehntausend Exemplare verkauft worden waren. Ich verlangte schließlich zwischen zehn und dreißig Prozent des Autorenanteils, abhängig davon, wie ausgefeilt die Synopsis war und wie groß die Wahrscheinlichkeit, daß das Uema in der Obhut des Autors

Weitere Kostenlose Bücher