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Der Geschichtenverkäufer

Der Geschichtenverkäufer

Titel: Der Geschichtenverkäufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jostein Gaarder
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dem alten Bernsteinstück zu tun, das mein Vater und ich im Geologischen Museum gesehen hatten. Ich bin zweimal in meinem Leben mit dem Spitznamen »Spinne« belegt worden. Was vermutlich bedeutet, daß ich tatsächlich eine Spinne bin.
    Eine Spinne spinnt alles aus sich selber heraus. Oder, wie die Lyrikerin Inger Hagerup es ausdrückt:
    Seltsam, eine Spinne zu sein, mit dem Garnknäuel im eigenen Leih, und jeden Tag zu spinnen .
    Das tun nicht alle Autoren. Manche sind wie Ameisen, sie tragen von überall her etwas zusammen und betrachten das Gesammelte dann als ihren Besitz. Die Kritiker neigen dazu, fast alle Autoren in diese Kategorie einzuordnen. Sie betonen gern, ein bestimmtes Buch sei »geprägt von«, »orientiere sich an« oder »stehe in der Schuld von« anderen Titeln der Gegenwart oder der Literaturgeschichte - selbst, wenn der Autor den genannten Titel nicht einmal aus der Ferne gesehen hat. Die Kritiker gehen einfach wie selbstverständlich davon aus, daß Autoren ebenso gelehrt und phantasielos sind wie sie. Sie scheinen sich auf das Axiom verständigt zu haben, daß es keine originellen Impulse mehr gibt, schon gar nicht in einem kleinen Land, schon gar nicht in unserem. Aber es gibt noch eine dritte Kategorie: die Autoren, die das Hilfswerk in Anspruch nahmen. Sie waren wie Bienen. Sie saugten im Rosengarten der Spinne den Nektar aus den Blüten und erwarben so den Rohstoff, den sie für ihre Arbeit brauchten. Sie gaben sich Mühe, das, was sie gesammelt hatten, weiter zu bearbeiten und auszubauen. Sie verdauten den Nektar des Rosengartens und verwandelten ihn in ihren eigenen Honig.
    Ein paar etablierte Autoren konnten die Vorstellung nicht ertragen, daß ich in ihrer Szene aktiv sein und anderen Autoren gute Ratschläge geben könnte. Ich hielt diese Leute für puritanisch. Mir sind immer wieder Schriftsteller begegnet, die sich darüber ärgern, daß ein Kollege Inspiration findet, indem er eine Flasche Wein trinkt, einen Joint raucht oder eine Reise ins Ausland unternimmt. Viele Autoren finden nichts schlimmer, als wenn angehende Kollegen sich zu einem Schreibkurs anmelden. Und die meisten Autoren brüsten sich damit, daß sie sich wirklich nur von sich selbst inspirieren lassen.
    In literarischen Blütezeiten wenden Autoren einen Großteil ihrer geistigen Kräfte für den Beweis auf, daß andere Autoren nichts taugen. Gegen Ende der siebziger Jahre wurde es eng im Autorenstall der Verlage, und wenn es eng wird im Koben, beginnen die Schweine einander zu beißen. Wenn die Bauern zuviel Butter oder Getreide produzieren, wird der Überschuß weggeworfen. Wenn Autoren zu viele Texte produzieren, versuchen sie, einander wegzubeißen.
    Natürlich wurde nicht aus allem, was ich verkaufte, am Ende auch ein Buch; dennoch übernehme ich meinen Teil der Verantwortung für die literarische Inflation, die wir im letzten Viertel des vergangenen Jahrhunderts beobachtet haben. Es hieß, es kämen bei uns zu viele Bücher auf den Markt, und man heuerte einen dänischen Kritiker an, auch das war gegen Ende der siebziger Jahre. Der Däne las alle norwegischen Lyrikbände, die im laufenden Jahr erschienen waren, und fand so gut wie keinen davon gelungen. Doch das Problem war nicht nur, daß zu viele schlechte Bücher geschrieben wurden; das Problem war auch, daß es zu viele gute Bücher gab. Wir gehören einer Sippe an, die mit Wörtern um sich wirft. Wir produzieren mehr Kultur, als wir verdauen können.
    Während der letzten Jahre haben wir uns fast fanatisch der Bekämpfung von Graffiti in U-Bahnstationen gewidmet. Zugleich haben wir viele Millionen Kronen für neue Nationalbibliotheken ausgegeben. Auch das ist eine Art Graffiti, genauso überflüssig. Nietzsche vergleicht einen Menschen, der sich an Kultur überfressen hat, mit einer Schlange, die einen Hasen verschlingt und danach dösend in der Sonne liegt und sich nicht bewegen kann.
    Die Zeit der Epigramme ist vorbei. Unter den Hafenhäusern in Bergen wurde ein kleiner Stab mit folgender Runeninschrift gefunden:
    Als ich in Stavanger war, hat Ingebj0rg mich geliebt.
    Das hat auf den wortkargen Verfasser offenbar einen gewissen Eindruck gemacht, und es läßt, acht oder neun Jahrhunderte später, auch den heutigen Leser nicht unberührt. Ein heutiger Dichter würde das Gedächtnis der Nachwelt mit einem Vierhundertseitenroman über seine kurze Romanze mit Ingebj0rg belasten. Oder seinen Zeitgenossen mit ohrenbetäubenden Schlagern über Ingebj0rg auf die

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