Der Geschichtenverkäufer
Kundenwerbung, wenn ich immer neue Geschichten auf Lager hatte.
Die Synopsis, die er dann mitnahm, trug den Titel Dreifachmord post mortem und war ein wenig inspiriert vom Beatles-Stück Lucy In Th e Sky With Diamonds. Meine Notizen füllten fast fünfzehn Seiten, hier folgt eine Kurzfassung:
I n der flämischen Stadt Antwerpen lebten die Brüder Wim, Kees und Klas. Wim hatte ein großes Muttermal im Gesicht und war seine ganze Kindheit und Jugend hindurch von seinen älteren Brüdern schikaniert worden. Als er mit Anfang Zwanzig Lucy traf, eine außergewöhnliche Schönheit und die Frau seines Lebens, konnte sein Bruder Kees sie ihm wenige Wochen vor der geplanten Hochzeit abspenstig machen. Die Stimmung in der Familie wurde auch dadurch nicht besser, daß die Eltern kurz nacheinander starben. Die Eltern hatten ein ausführliches Testament hinterlassen, und es bestand kein Zweifel daran, daß Wim darin übervorteilt worden war. Dahinter steckten Manipulationen der älteren Brüder. Vor allem hatte Klas den Eltern beim Abfassen des Testaments geholfen, er war schließlich Jurist, und nach dem Tod der Eltern prahlte er überall in Antwerpen damit, wie er die Alten um den kleinen Finger gewickelt hatte.
Wim schaffte es trotzdem, als Diamantenhändler zu einem Vermögen zu gelangen. Sein großer Kummer war, daß er niemals eine Familie gründen konnte. In Wims Leben gab es außer Lucy keine Frauen, deshalb hatte er auch keine Erben. Sein einziger
Trost und seine einzige Freude waren die seltenen Besuche, die Lucy ihm aus alter Freundschaft abstattete. Im Laufe der Zeit kam es dann auch vor, daß sie bei Eheproblemen um seinen Rat bat. Es war nicht leicht, mit einem Mann wie Kees Tisch und Bett zu teilen.
Wenn der jüngste Bruder vor den beiden anderen sterben sollte, würden Kees und Klas, wie es sich gehörte, einen Teil von Wims Vermögen erben; als er sich in verhältnismäßig jungen Jahren eine unheilbare Krankheit zuzog, verfügte er in seinem Testament, Kees und Klas sollten gemeinsam seinen großen Geldschrank öffnen. Antwerpener Gerüchte wollten wissen, daß der Schrank geschliffene Diamanten im Wert von vielen Millionen belgischen Francs enthielt.
Einige Monate, nachdem Wim vor Zeugen dieses Testament unterzeichnet hatte, starb er, und Kees und Klas wollten gemeinsam den Geldschrank öffnen. Sie brachten einen bekannten Wirtschaftsjuristen mit. Als sie mit gierigen Blicken die verheißungsvolle Lade erbrachen, ging eine gewaltige Sprengladung hoch, und alle drei waren auf der Stelle tot. Der Geldschrank hatte nicht einen einzigen Diamanten und auch keine Geldscheine oder Wechsel enthalten. Kees und Klas hatten eine Bombe geerbt, doch die war zum Ausgleich eine von vielen tausend Karat und in jeglicher Hinsicht ausgefeilt und verfeinert.
Die groteske Episode wurde von den Zeitungen als Dreifachmord post mortem bezeichnet und sollte mehrere juristische Nachspiele haben. In seinem Testament hatte Wim alle Wertgegenstände, die nicht im Geldschrank lagen, Lucy vermacht, Kees’ Witwe. Aber durfte das Gericht davon ausgehen, daß sie nicht mit dem Dreifachmörder unter einer Decke gesteckt hatte? Daß sie Wim in den vergangenen Jahren öfter in seinem Diamantenladen besucht hatte, war allgemein bekannt; sie versuchte es auch gar nicht abzustreiten. Vielleicht hatte sie auch Zugang zu seinem Geldschrank gehabt. Außerdem wurde das Gericht darüber informiert, daß Lucy erst kürzlich einen Scheidungsanwalt aufgesucht hatte; sie hatte sich von Kees trennen und aus einer, wie sie sagte, kalten, toten und überdies kinderlosen Ehe befreien wollen.
Nun wurde ein weiterer Anwalt damit beauftragt, die Interessen des verstorbenen Diamantenhändlers zu vertreten. Denn wer konnte mit Sicherheit behaupten, daß Lucy die Bombe nicht erst nach Wims Tod in den Geldschrank gelegt hatte? Und wo steckten übrigens die vielen Diamanten? War es nicht bedenklich, den angesehenen Diamantenhändler als Dreifachmörder abzustempeln, ehe die ganze Angelegenheit vor Gericht untersucht worden war?
Gegen Lucy wurde niemals Anklage erhoben, doch das Gericht untersagte es, da die Beweise fehlten, ebenfalls, den verstorbenen Diamantenhändler als Mörder oder Dreifachmörder zu bezeichnen. Oder, wie der Richter sich ausdrückte: Er gilt als unschuldig, bis sich das Gegenteil beweisen läßt. Als er die Verhandlung beendete, fügte er hinzu: De mortuis nil nisi bene.
Aufgrund der vielen juristischen Nachspiele, der
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