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Der Geschichtenverkäufer

Der Geschichtenverkäufer

Titel: Der Geschichtenverkäufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jostein Gaarder
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Zeitungsartikel und vielleicht auch durch den Verlust von Ehemann und Schwägern beschloß Lucy, Antwerpen zu verlassen. Nur wenige Tage, ehe sie sich ins Flugzeug nach Buenos Aires setzte, wo sie sich bei einer dort ansässigen Kusine niederlassen wollte, wurde sie dreißig Jahre alt. An diesem Geburtstag klopfte plötzlich ein elegant gekleideter Herr an ihre Tür. Er reichte ihr seine Visitenkarte und erklärte, er vertrete eine große Maklerfirma. In der Hand hielt er ein Köfferchen, das er im Namen seines Auftraggebers Lucy van der Heijden persönlich aushändigen sollte, und zwar genau an diesem Tag. Lucy unterschrieb eine Quittung und öffnete den Koffer erst, als der Mann gegangen war. Der Koffer war gefüllt mit geschliffenen Diamanten. Bei den Diamanten lag ein mit der Hand beschriebener Zettel, auf dem stand: Geliebte Lucy. Ich wünsche dir zu deinem dreißigsten Geburtstag alles Gute. Leb für uns beide.
     
    Dein Wim.

    Das Netz änderte jetzt seinen Charakter. Von nun ab wurden auch zwischen den Kunden Fäden gesponnen. So wurde es immer dichter und immer gefährlicher. Die Zeichen des Verschleißes waren nach und nach in vier verschiedenen Gruppen zu beobachten.
    Die erste Gruppe bestand aus Autoren, die ihre begonnenen Projekte nicht zu Ende bringen konnten und deshalb über die Qualität der Ware klagten. Ich erlebte viele mentale Salti mortali dieser Art. Sie erheiterten mich. Es ist lächerlich, sich über die Fahrtüchtigkeit eines Jaguars zu beschweren, wenn ein Mann am Steuer sitzt, der vom Autofahren keine Ahnung hat.
    Die zweite Gruppe waren die Unbestechlichen. Sie waren unberechenbar, da sie selbst nichts zu befürchten hatten. Sie waren nervös, es störte sie, daß ich anderen Autoren half. Manche zeigten Anflüge einer fast paranoiden Angst. Sie versuchten, die Wahrheit herauszufinden, standen aber nur vor einem Ozean von Gerüchten und konnten keinen einzigen Fisch an die Oberfläche holen. Auch die Unbestechlichen lebten in der Vorstellung, meine Angebote seien ungeheuer exklusiv, aber das schürte nur ihre Wachsamkeit, denn wem half ich nun eigentlich? Doch hoffentlich nicht diesem jungen Kometen, diesem von sich eingenommenen Debütanten, der ganz unerwartet den begehrten Kritikerpreis eingesackt hatte?
    Eine dritte Gruppe bestand aus denen, die mir Geld schuldeten und nicht gern bezahlten. In einigen Fällen handelte es sich um beträchtliche Summen. Weder dem Kunden noch mir gefiel die Vorstellung, es könne der Öffentlichkeit zu Ohren kommen, daß einer der Bestseller des Jahres auf einer Reihe von detaillierten Notizen aufbaute, die nicht vom Verfasser selber stammten. Es gefiel uns auch nicht, daß ich an die Tonbänder erinnern mußte, doch bisweilen sah ich mich dazu gezwungen. Und es wirkte. So chaotisch das Autorenhilfswerk anfangs gewesen sein mochte, nun war es um so wichtiger, daß zumindest in Vertragsdingen Ordnung herrschte.
    Die vierte und letzte Gruppe bestand aus allen, die vom Autorenhilfswerk künstlerisch und finanziell profitiert hatten, sich aber unsicher fühlten, als ihnen aufging, daß noch weitere Beutetiere in meinem Netz zappelten. Je mehr sie von meinen Diensten profitiert hatten, desto tiefer konnten sie fallen, desto mehr fürchteten sie sich vor einem Gesichtsverlust. Sie schämten sich, weil sie meine Hilfe angenommen hatten, es war ihnen peinlich, mir auf den Leim gegangen zu sein. Das ist verständlich. Andererseits war es feinste Spinnseide, zu deren Kauf sie sich hatten verlocken lassen.
    Auch nachdem sie begriffen hatten, daß ich als Großhändler tätig war, konnten einige der Versuchung, einen neuen Vertrag abzuschließen, nicht widerstehen. Sie wußten, daß sie sich womöglich auf einem sinkenden Schiff befanden, aber sie hatten Blut geleckt und wollten mehr. Oder es ging, wie bei jeder Sucht, nur noch darum, die Stunde der Abrechnung hinauszuzögern. Ich fragte einen von ihnen, ob er nicht fürchte, nach seinem Tod entlarvt zu werden. Er schüttelte den Kopf und meinte, dann sei er schließlich nicht mehr dabei. Ich fand diese Aussage schamlos, aber typisch. Respekt vor der posthumen Ehre ist in der postmodernen Zivilisation so gut wie nicht vorhanden. Das Leben ist ein Vergnügungspark, und wir denken nicht über die Öffnungszeiten des Rummels hinaus.
    Etwas ganz anderes war es, daß solche Kunden mich dennoch hassen konnten. Es ist möglich, ein Junkie zu sein und den Dealer trotzdem widerlich zu finden.
    Ich selbst bewahrte die Ruhe,

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