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Der Geschichtenverkäufer

Der Geschichtenverkäufer

Titel: Der Geschichtenverkäufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jostein Gaarder
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her und liefen mir nach. Es machte Spaß, es war die pure Zerstreuung. Sie küßten mich auf die Wangen und überschütteten mich mit Visitenkarten. Sie wußten, daß die Titel, die ich nicht annahm, auch in anderen skandinavischen Ländern keine Chance hatten, Verhandlungen mit mir wurden eine Art Härtetest.
    Ehe ein deutscher oder italienischer Verlag einen Titel nach Japan oder den USA abzusetzen versuchte, wurde meine Meinung eingeholt, und ich gab gerne und schnell Auskunft, ob er im betreffenden Land eine Chance hatte. Ich nannte auch Kontaktpersonen oder legte selbst ein gutes Wort ein. Nicht selten schlug ich passende Vertragsbedingungen vor. Dies alles, obwohl ich für solche Dinge gar nicht zuständig war. Schon als Lektor für ins Norwegische übersetzte Literatur nahm ich eine zentrale Funktion als Mittler skandinavischer Literatur im Ausland ein. Ich sagte nie etwas, wozu ich nicht stehen konnte. Sagte ich einem deutschen Verleger, ein dänischer oder schwedischer Roman könne auf dem deutschen Markt Erfolg haben, dann wußte man, daß ich mir meine Worte gut überlegt hatte. Sich seine Worte gut zu überlegen ist wichtig, wenn man vom Umgang mit Menschen lebt. Vertrauen muß Schritt für Schritt aufgebaut werden.
    Es erregte natürlich großes Aufsehen, als ich eines Morgens ohne Vorwarnung beim Verlagsdirektor anklopfte und meine Stellung kündigte. Aber ich mußte weiter. Seit Beginn der achtziger Jahre hatte ich für mehrere große Verlage in aller Welt als Scout gearbeitet. Als Scout mußte ich vielversprechende skandinavische und deutschsprachige Titel ausfindig machen und meine Verlage so schnell wie möglich darüber informieren. Das gab mir eine ganz neue Ausgangsbasis, bald vertrat ich angesehene Verlage in vielen Ländern, die ich nun auch immer häufiger besuchen mußte.
    Auf meinen Reisen kamen mir immer neue Ideen und Romansujets in den Kopf. In jüngeren Jahren hatte ich gern nachgedacht, während ich im Gebirge wanderte oder mit dem Zug über die Hardangervidda fuhr. Die Umstände waren mir ebenso günstig, wenn ich jetzt in vierzigtausend Fuß Höhe nach New York, Sao Paulo, Sydney oder Tokio jagte. Es kostete mich oft nicht mehr als wenige Minuten, eine neue Romanidee zu ersinnen, und an irgend etwas mußte ich ohnehin denken, so funktioniert das Gehirn nun einmal. Manche Menschen können in den Mittelgang starren und sich den Kopf über die Frage zerbrechen, wann das Kabinenpersonal eine neue Tasse Kaffee serviert, ich nicht. Ich hatte einen Beruf, der für lange Flugreisen wie geschaffen war; ich konnte froh sein, daß ich kein Handelsreisender oder gar Romanautor war. Ein Notizbuch nimmt weniger Platz in Anspruch als ein Romanmanuskript oder ein Computer und ist außerdem diskreter. Hegel betont in seiner Ästhetik, eine Kunstart beanspruche um so weniger physische Masse, je edler und geistreicher sie sei.
    Niemand wunderte sich noch darüber, daß ich rund um den Globus auf Buchmessen und Literaturfestivals auftauchte; ich wurde dafür bezahlt, daß ich die Augen offenhielt. Am besten war es, wenn ich von einem wichtigen Roman schon wußte, noch ehe die Originalausgabe erschienen war. Was niemand ahnen konnte, war, daß ich in einigen Fällen von Romanen schon wußte, wenn sie noch lange nicht geschrieben waren, ja, sogar ehe der Autor selbst begriffen hatte, daß er ihn schreiben würde. Eine phantastische Ausgangsposition für einen Scout; immer wieder konnte ich meinen Verlagen zu wichtigen Titeln verhelfen. Es hieß, ich hätte einen sechsten Sinn.
    Für das Autorenhilfswerk bedeutete es einen großen Befreiungsschlag, daß ich nicht mehr auf skandinavische Autoren angewiesen war. Ich übersetzte einige der wichtigsten Synopsen ins Englische, Deutsche, Französische und Italienische. Es war ein gutes Stück Arbeit, aber keine unlösbare Aufgabe. Ich habe Literatur immer schon gern in der Originalsprache gelesen, es ist fast eine Grundbedingung für eine Arbeit wie meine. Schon zu Beginn der siebziger Jahre hatte ich das Erlernen neuer Sprachen zu meinem Hobby gemacht. Jetzt konnte das Autorenhilfswerk aus einem stetig wachsenden Autorenpool wählen. Ein Autor aus den USA oder Brasilien fand es nicht weiter gefährlich, einem Norweger ein Sujet abzukaufen. Allmählich erwarb ich ein Vermögen.
    Ein Teil meines Alltags bestand schlicht darin, mit Agenten, Verlagen und Autoren Kontakt zu halten; bald wurde ich zu jemandem, mit dem man gern gesehen werden wollte. Es war niemandem

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