Der Geschichtenverkäufer
bis ich im Spiegel einen kurzen Artikel über einen in Deutschland erschienenen, hochgelobten Schachroman las. Ich besorgte mir das Buch, las es in einem Zug und war geschockt.
Der Roman baute auf genau der Geschichte auf, die ich vor vielen Jahren, nur wenige Wochen, ehe sie schwanger geworden war, Maria erzählt hatte. In der deutschen Version waren allerlei Details verändert, es gab neue Namen und die Handlung spielte in Deutschland, die Geschichte jedoch war bis ins verräterische Detail die, die ich mir ausgedacht hatte. Das Buch stammte von einer gewissen Wilhelmine Wittmann, von der ich noch nie gehört hatte, aber dabei konnte es sich natürlich um ein Pseudonym handeln.
Maria war die einzige, der ich die Schachgeschichte erzählt hatte, da war ich mir ganz sicher. Ich hatte sie noch nicht verkauft, weil ich bisher niemanden gefunden hatte, dem ich das Buch zutraute. Weshalb es nur zwei Möglichkeiten gab: Entweder hatte Maria die Geschichte des Lord Hamilton irgendwelchen Bekannten erzählt, einer Schriftstellerin zum Beispiel. Oder, und damit konnte ich mich noch weniger abfinden: Maria selbst verbarg sich hinter dem Pseudonym Wilhelmine Wittmann. Die Geschichte war gut erzählt, an sich konnte ich mit dem Ergebnis zufrieden sein, auch wenn die Erzählung für mich unlösbar mit dem schottischen Hochland verbunden gewesen war.
Das plötzliche Lebenszeichen von Maria löste tiefste Bestürzung in mir aus. Die Synopsis des Romans Schachgeheimnis war nur eine von vielen Dutzend Geschichten, die ich an Maria verschwendet hatte, und viele von ihnen waren längst als ausgewachsene Romane in die Welt gezogen. Mußte ich mit weiteren Büchern von Wilhelmine Wittmann rechnen? Das konnte für das Autorenhilfswerk ernsthafte Schwierigkeiten mit sich bringen.
Maria hatte ein beeindruckendes Gedächtnis besessen, nun spielte sie zu allem Überfluß auch noch Schach.
Die Schrift an der Wand
D amals faßte ich endgültig Fuß im Ausland. Es wurde höchste Zeit, mein Netz in Norwegen hatte bereits viel zu enge Maschen. Norwegen ist ein dünnbesiedeltes Land; was die Schriftstellerei betrifft, muß es jedoch als Ballungsraum gelten. Ich unternahm nun häufig Reisen nach Deutschland, Italien, Frankreich, Spanien und England.
Zuvor hatte ich mir eine Stelle in einem Verlag suchen müssen; mir war schon lange klar gewesen, daß ich diese Fassade brauchte. Viele Lektoren wußten, daß ich ein hilfsbereiter Kollege war, der den Autoren gern gute Tipps und Ideen lieferte; bei diesen Lektoren war ich durchaus beliebt. Immer häufiger wurde mir jetzt ganz offen das Lektorat eines Buches angeboten. Es war eine schöne Abwechslung, ich mochte den schriftlichen Beleg, daß ich Geld verdient hatte. Auch dem Finanzamt war es recht.
In einem der großen Verlage fand ich eine für ein Jahr ausgeschriebene Vertretungsstelle im Lektorat für übersetzte Literatur. Ich war einer von vielen Bewerbern, bekam die Stelle aber, sobald ich mein Interesse signalisierte, eine schriftliche Bewerbung war schon nicht mehr nötig. Sie wußten, wer ich war, Petter kannten alle. Ich war die graue Eminenz der literarischen Szene.
Es fiel nicht weiter auf, daß jemand wie ich eine Verlagstätigkeit anstrebte. Das Seltsame war eher, daß ich es nicht längst versucht hatte; daß ich neben meinem glanzvoll bestandenen Abitur keine weitere abgeschlossene Ausbildung vorweisen konnte, spielte keine Rolle. Ich war Autodidakt und schämte mich auch nicht der Tatsache, daß ich kein Universitätsexamen abgelegt hatte, dieses Stadium hatte ich nur übersprungen. Es gibt Menschen, die von sich selbst mehr lernen können als von anderen.
Glücklich konnte sich der Verlag schätzen, der mir seine Türen öffnen durfte. Ich würde gute Arbeit leisten, das stand fest. Nur ich wußte, daß ich unter der Tarnkappe der Verlagsarbeit wertvolle Kontakte im Ausland aufbauen konnte, Bekanntschaften, die für die Verbreitung des Autorenhilfswerkes von großer Bedeutung sein würden.
Ich arbeitete vier Jahre für diesen Verlag, schon nach dem ersten wußten viele der Schlüsselpersonen in den großen ausländischen Verlagen, wer den besten Überblick über das literarische Leben im Norden hatte. Meine eigentliche Aufgabe war die Suche nach ausländischen Titeln, die eine Übersetzung ins Norwegische verdient hatten. Das war leicht. Die Agenturen wußten, an wen sie sich wenden konnten, sie hetzten über die via mobile zwischen den Frankfurter Messehallen hin und
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