Der Geschichtenverkäufer
peinlich, mit mir auf den Buchmessen in Frankfurt, London, Bologna oder Paris beim Mittagessen gesichtet zu werden; es war eine Ehre, neben mir zu sitzen. Ich war umschwärmt, ein angenehmes Wesen bedeutete keinen beruflichen Nachteil, und ich verbrachte viele nette Abende mit Verlegerinnen. Die einzige Konkurrenz in meiner Marktnische waren die anderen Scouts. Ein und denselben Bestseller konnte man nun mal nicht bei Le Seuil und Gallimard gleichzeitig unterbringen.
Als ich nun dieses Jahr auf der Internationalen Messe für Kinder- und Jugendliteratur in Bologna eintraf, kam mir bald die Ahnung, daß es sich um meinen letzten Bologna-Besuch handeln könnte. Schon am ersten Vormittag spürte ich, daß nicht alles so war wie sonst. Was Stimmungen und Verstimmungen angeht, habe ich immer eine rasche Auffassungsgabe besessen.
Gleich nach Öffnung der Messehallen kam ich mit einem französischen Verlagsredakteur ins Gespräch; er hatte erst kürzlich großen Erfolg mit einem Roman gehabt, der auf einer meiner Synopsen aufbaute. Der Autor, den ich einige Jahre zuvor während des Literaturfestivals in Edinburgh in einer Kneipe kennengelernt hatte, hatte meinen Intentionen die Treue gehalten und den Roman in eine elegante Sprache gefaßt. Er hatte einen soliden Vorschuß bezahlt und mir fünf Prozent aller künftigen Tantiemen der französischen Ausgabe sowie sämtlicher Übersetzungen zugesagt. Sein Buch war mit mehreren Preisen ausgezeichnet worden und bereits in sieben oder acht Sprachen übersetzt. Das alles hatte der Autor mir ohne Vorbehalte auf einer Tonbandkassette bestätigt, die jetzt zusammen mit der Kopie einer Überweisung in meinem Bankschließfach lag. Ich verfügte außerdem noch über ein Tonband aus dem Gerät, das zu Hause an mein Telefon angeschlossen war.
Ich gelangte bald zu der Überzeugung, daß der französische Verlagsmann über die Entstehung des preisgekrönten Werks im Bilde war. Konnte der Autor selber ihn darauf gebracht haben? Und wenn ja: warum? Konnte es ihm so vollständig an Ehrgefühl fehlen?
Direkt gesagt wurde nichts, doch so, wie der Verlagsmann mich auszuhorchen versuchte, schien er sogar zu ahnen, daß die Hilfe, die ich seinem Autor angeboten hatte, keine Ausnahme gewesen war, Er fragte schließlich ganz offen, ob ich noch von anderen solchen Büchern wüßte, die gerade irgendwo geschrieben würden. Als ich ihm zu verstehen gab, daß mir diese Art Klatsch zuwider sei - ich nahm einfach meinen Pappbecher mit Kaffee und ging zu den deutschen Ständen weiter -, nahm er meinen Arm und sagte: Sei von nun an vorsichtig, Petter! Er sagte es in freundlichem Ton, aber ich glaube nicht, daß es freundlich gemeint war. Eher erschien mir dieser Rat als Drohung. Vielleicht fürchtete er um den guten Ruf seines Autors. Und um das Renommee seines Hauses.
Danach wechselte ich ein paar Worte mit dem Cheflektor eines großen deutschen Verlags. Er war stolz, in diesem Frühjahr ein besonders starkes Programm vorlegen zu können. Er drückte mir ein Glas Spumante in die Hand und ahnte nicht, daß die Vorarbeiten zu zwei seiner Spitzentitel vor vielen Jahren in Oslo geleistet worden waren.
Ich lief den ganzen Vormittag durch die Messehallen. Ich war im Dienst, ich hatte solche Messehallen immer schon geliebt. Die Hallen und Gänge auf den großen Buchmessen Europas waren meine Kaiserpaläste, und am besten gefiel mir meine Frühjahrsresidenz in Bologna. In Bologna gab es das beste Essen. Und die meisten Frauen.
Ich fand es wunderbar, in den Messehallen von Land zu Land zu gehen und mit Kollegen aus allen Weltgegenden zu sprechen. Nicht viele meiner Autoren kamen nach Bologna; meine Bücher dagegen sah ich dort überall. Im Laufe der Jahre hatte ich zu vielen Dutzenden von Kinder- und Jugendbüchern Ideen gegeben, doch nur wenige wußten um meine Vielseitigkeit. Ich sprach gern mit den Verlagsleuten über die neuen Bücher, die auf meine Tätigkeit zurückgingen. Ich sagte meine Meinung, das hielt ich für meine Pflicht, dabei konnte ich durchaus einen eigenen Roman verreißen, wenn ich ihn für schlecht geschrieben hielt. Es fiel mir nicht schwer zu sagen, die Autorin habe ihren eigenen Plot verhunzt, sie hätte das alles viel besser machen können. Doch gab ich dann in wenigen Worten den Kern der Handlung wieder, wie ich ihn sah. Es war amüsant. Viele Verlagsleute hatten danach Stoff zum Nachdenken, denn nicht alle konnten die Fabel eines Romans so präzise in Worte fassen wie ich. Es war
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