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Der Geschmack der Gewalt

Der Geschmack der Gewalt

Titel: Der Geschmack der Gewalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Bill
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unter seiner Kleidung spürbar feucht werden ließ, nichts war im Vergleich zu dem, was ihm bald bevorstand.
    *
    Jarhead war von Spritkanistern umgeben. Er fuhr sich mit der Hand durch die verschwitzten Locken. Dachte an die Lichter neulich nachts. Das durchgedrückte Gaspedal des Pick-ups. Die rot-blauen Blitze, die die Nacht zerschnitten hatten. Er hatte die Kurven genommen, ohne zu wissen, wohin er überhaupt fuhr. Aber er hatte sie abgehängt.
    Jetzt stand er in einer verrosteten Blechgarage, den ölverschmierten Hörer eines Wählscheibentelefons am Ohr, und spielte mit einem zerknitterten und abgenutzten Foto von Tammy und den Jungs. Er hatte seit Tagen nicht mit ihnen gesprochen, vermisste, wie ihm die beiden dabei zuschauten, wenn er spätabends im staubigen Hof Seilchen sprang und den Sandsack bearbeitete. Vor Vergnügen in die winzigen Hände klatschten. Wie er sie nach dem Training badete und ins Bett brachte. Duschte, dann ins Schlafzimmer ging und seinen Arm um Tammys warme Unschuld legte.
    Tammy sollte unbedingt wissen, dass bei ihm alles in Ordnung war. Und er wollte wissen, dass es bei ihr und den Jungs auch so war. »Hast du irgendwelche Scherereien gehabt?«, fragte er.
    Die weibliche Stimme war vor Sorge weich wie ein Federkissen. »Marshal Pike wollte bloß wissen, ob ich dich gesehen oder von dir gehört hätte. Hat sich gefragt, warum du wegen einem Riesen einen Waffenladen überfällst. Nicht einen Penny mehr nimmst und das Gewehr da lässt.«
    »Und was hast du gesagt?«
    »Dass gerade die Sonne aufging, als ich dich zuletzt gesehen habe. Und die Kleinen geschrien haben, weil ihre Windeln voll waren.«
    Jarhead war ruhelos und leicht besorgt. Seit dem Überfall hatte er weder einen Sandsack bearbeitet, noch war er gelaufen, um seine Kondition zu stärken. Er musste seine Lungen weiten.Spüren, wie Fleisch nachgab. Schmerzen zufügen. Er musste in Sachen Orange County in die Gänge kommen. Und bei dem, was da zuletzt nachts passiert war, war ihm auch nicht richtig wohl gewesen. Er machte sich Sorgen wegen des County-Beamten, den er geschlagen und bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt hatte, und wegen der Bullen, vor denen er abgehauen war. Was, wenn sie das Nummerschild des Pick-ups hatten, mit dem er und Tig vom Tatort geflüchtet waren? »Bald ist es vorbei«, sagte er zu Tammy.
    »Versprochen?«
    »Versprochen. Nach diesem Wochenende werde ich der Gewinner des Donnybrook sein. Dann schicke ich jemanden, der dich und die Kinder holt.«
    Tig und sein Cousin hatten ihm eine Ecke überlassen, wo er sich ausruhen konnte, ein Gästezimmer mit einer Pritsche und säuerlich riechenden Laken. Nachts hörte Jarhead ein reges Kommen und Gehen im Keller. Aber er ignorierte, was die Männer außer Sprit umzufüllen noch taten. Sie waren seine Mitfahrgelegenheit nach Orange County heute Abend.
    »Warum nicht du?«, fragte Tammy.
    »Weil ich nicht riskieren kann, in Hazard oder auch nur in der Nähe gesehen zu werden, nach dem, was ich getan habe. Gewinne ich, wird das alles eh keine Rolle spielen. Wir werden mehr Geld haben, als jeder von uns in seinem ganzen Leben gesehen hat.«
    Tammy wurde still. Im Hintergrund nieste ein Kind. »Was, wenn du nicht gewinnst?«, fragte sie. »Was, wenn jemand fieser und härter drauf ist als du? Was machen wir dann?«
    Es gab immer ein »Was, wenn …?« Wie beim ersten Mal, als Jarhead zu einem Schlag ausgeholt hatte. Was, wenn dieser Mann es nicht gesehen hätte, wie er den Jungen bewusstlos schlug, weil er einen anderen getriezt hatte. Was, wenn er nicht irgendetwas in Jarhead gesehen hätte? Ihn nicht unter seine Fittiche genommen hätte? Ihm nicht beigebracht hätte, wie man kämpfte. Schläge austeilte. Den Ellbogen ausfuhr. Das Knie. Mit den Hüften arbeitete. Rotierte und aus der Drehung einen Punch platzierte. Wo man hinschlug und wie. Nieren. Leber. Herz. Wie er sich um seinen Körper kümmern musste. Selbstsicher war statt eingebildet. Wie der Mann, den er nie gekannt hatte, sein richtiger Vater. Ein Marine, der in Vietnam gedient und in Puerto Rico geboxt hatte. Der Mann, nach dem ihm seine Mutter seinen Spitznamen verpasst hatte. Sie hatte ihm gesagt, sie habe Miles verlassen, bevor Johnny zur Welt gekommen war. Dass sein richtiger Vater, Miles Knox, mit den Toten sprach. Eine brutale Ader gehabt habe und eine Schwäche für Bourbon. Seine Mutter hatte ihm ihren Mädchennamen gegeben, nicht den seines Vaters.
    Johnny fragte sich häufig, ob Miles noch lebte. Er

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