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Der Geschmack von Apfelkernen

Der Geschmack von Apfelkernen

Titel: Der Geschmack von Apfelkernen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hagena
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sie hing mit
     aller Kraft an dem Haus, das jetzt meines war. Obwohl sie schon viel länger dort
     lebte, wo sie jetzt lebte, als sie es je in Bootshaven getan hatte, so glaubte sie
     doch, sie wäre dort unten nur auf der Durchreise. Der erste dieser heißen, feuchten,
     windlosen Sommer ließ sie verzweifeln. Wenn sie nachts nicht schlafen konnte, weil
     dieTemperatur nicht unter dreißig Grad fiel, lag sie schwitzend im
     Bett, blickte hinauf an die Deckenlampe aus Milchglas und biss sich auf die
     Unterlippe, bis es draußen hell wurde. Dann stand sie auf und machte ihrem Mann das
     Frühstück. Der Sommer wich einem belanglosen Herbst und dieser endlich einem harten,
     wolkenlosen Winter. Alle Gewässer froren zu. Und das über Wochen. Da wusste meine
     Mutter, sie würde bleiben. Im November des darauf folgenden Jahres wurde ich
     geboren.

    So ganz hatte ich nie an diesen Ort gehört, dort im
     Badischen. Nach England aber schon gar nicht, auch wenn ich mir das ein paar Jahre
     eingebildet hatte. Auch nicht hierher, nach Bootshaven. In Süddeutschland war ich
     aufgewachsen und zur Schule gegangen, dort waren meine Busenfreundinnen, mein
     Elternhaus, meine Bäume, Baggerseen und meine Arbeit. Hier im Norden jedoch waren
     das Land, Haus und Herz meiner Mutter. Hier war ich Kind gewesen, und hier hatte ich
     aufgehört, eines zu sein. Hier lag meine Kusine Rosmarie auf dem Friedhof. Hier lag
     mein Großvater und jetzt auch Bertha.

    Ich wusste nicht, warum Bertha das Haus nicht meiner
     Mutter oder einer ihrer Schwestern überlassen hatte. Nun, vielleicht war es ein
     Trost gewesen für meine Großmutter, dass es mit mir eine weitere Generation von
     Deelwaters gab. Aber keiner liebte das Haus so, wie meine Mutter es liebte, es wäre
     nur natürlich gewesen, es ihr zu überlassen. Dann wäre es früher oder später doch an
     mich gefallen. Was sollte sie mit den Kuhweiden? Ich musste noch einmal mit Miras
     Bruder darüber reden. Der Gedanke, mit Max Ohmstedt über Familiendingezu reden, beunruhigte mich. Ich müsste dann auch nach Mira fragen,
     wie es ihr wohl ging.

    Es war noch früh, als ich aufstand. Sonntags fühlten sich
     die Morgen anders an, man merkte es gleich. Die Luft hatte eine andere
     Beschaffenheit, sie war schwerer, und alles erschien dadurch ein wenig verzögert.
     Selbst vertraute Geräusche klangen anders. Gedämpfter und zugleich eindringlicher.
     Sicher lag das am fehlenden Autolärm, vielleicht auch am fehlenden Kohlenmonoxid in
     der Luft. Vielleicht lag es auch nur daran, dass man sonntags auf Lüfte und Laute
     achtete, worauf man alltags nicht eine Sekunde seiner Zeit vergeudete. Aber das
     glaubte ich eigentlich nicht, denn selbst in den Ferien fühlten sich die Sonntage so
     an.

    In den Schulferien liebte ich es, am Morgen nach der
     ersten Nacht im Haus noch liegen zu bleiben und auf die Geräusche von unten zu
     lauschen. Das Knarren der Treppe, Absätze auf dem Küchenfußboden. Die Tür von der
     Küche zur Diele klemmte, und sie wurde immer mit einem quietschenden Ruck
     aufgestoßen und mit einem Knall zugezogen. Dabei klirrte der eiserne Riegel, der am
     Morgen ausgehängt wurde und neben dem Türrahmen baumelte. Im Gegensatz dazu ging die
     Tür vom Flur in die Küche viel zu leicht auf, und immer, wenn die Dielentür
     aufgedrückt wurde, schnappte die andere Tür aus dem Schloss und klapperte im
     Zugwind. Die Messingglocke an der Haustür schepperte, wenn mein Großvater das Haus
     verließ, um aus der Diele sein Fahrrad zu holen und ins Büro zu fahren. Er schob
     sein Rad durch den Dielenausgang nach draußen, stellte es in den Garten, ging wieder
     hinein, schloss von innen die Diele ab und ging dann durch dieKüche hindurch, den Flur entlang und durch die Haustür wieder nach draußen. Warum
     ging er nicht gleich hinten herum durch die Diele? Wohl weil er die Diele von innen
     verriegeln und nicht von außen mit dem Schlüssel abschließen wollte. Aber warum
     nicht von außen schließen? Mir schien es, als wollte er einfach nur die glänzende
     Messingklinke der großen Haustür in die Hand nehmen, ein paar Sekunden als Hausherr
     am oberen Ende der Außentreppe verweilen, die Zeitung beim Hinausgehen aus dem
     Briefkasten ziehen, in die Aktentasche stecken, die Treppenstufen hinunterlaufen,
     sich aufs Rad schwingen und mit Klingeln und einem knappen, ja schneidigen Gruß zum
     Küchenfenster in den jungen Morgen fahren. Jedenfalls hätte es nicht in das

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