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Der Geschmack von Apfelkernen

Der Geschmack von Apfelkernen

Titel: Der Geschmack von Apfelkernen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hagena
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weiterschwimmen. Das
     schien mir die geeignete Strategie. Also holte ich Luft, hob grüßend meine Hand aus
     dem Wasser – und schob mir dabei ausVersehen eine Riesenladung
     Wasser in den Mund, leider verschluckte ich mich dabei furchtbar, denn ich hatte
     wirklich tief Luft geholt, hustete, röchelte, platschte mit beiden Händen auf dem
     Wasser herum, Tränen traten mir in die Augen, und mein Kopf musste eine sonderbare
     Farbe angenommen haben, denn Max legte den seinen leicht zur Seite, kniff die Augen
     zusammen und beobachtete mit Interesse mein wildes Gebaren im schwarzen, vormals
     glatten See. Ein Blesshuhn flatterte auf, ich hustete, tauchte unter, kam wieder
     nach oben. Max schwamm näher.
    - Alles klar mit dir?
    Beim Versuch zu sprechen spuckte ich ihm zunächst ein
     bisschen Wasser ins Gesicht.
    - Ja, natürlich, alles klar! krächzte ich. Und mit dir?
    Max nickte.
    Ich schwamm hastig zurück zum Ufer. Ab und zu musste ich
     unterbrechen, um zu husten. Als ich mich jedoch kurz vor dem Rausgehen umschaute,
     schwamm Max hinter mir, er war mit mir umgedreht, und er kraulte auch nicht mehr.
     Herrje! Musste ich jetzt tatsächlich nackt und von Hustenkrämpfen geschüttelt aus
     dem Wasser rennen? Ich sah schon genau, wie ich versuchen würde, mir eilig das
     schwarze Kleid über den Kopf und die Schultern zu zerren und – weil nicht
     abgetrocknet – mit erhobenen Armen darin stecken bleiben würde. Blind und gefesselt,
     da das Kleid aus festem Baumwollstoff war, würde ich über mein Fahrrad fallen, und
     beim Wiederaufrappeln mit dem Armloch des Kleides am Pedal hängen bleiben. Und
     während ich fest verschnürt, ein Herrenrad hinter mir herschleifend, eilig
     davonhumpelte, würden meine dumpfen, ja mittlerweile als tierisch zu bezeichnenden
     Schreie noch weithin über den schwarzen See hinweg zu hören sein. Und jedem, der sounglücklich war, sie zu vernehmen, würde das Herz in der Brust
     gefrieren, und nie wieder würde er –
    - Iris.
    Ich drehte mich um. Diesmal brauchte ich wenigstens kein
     Wasser zu treten, denn ich konnte schon stehen.
    - Iris. Ich. Nun. Ich freue mich, dich zu sehen. Ehrlich.
     Und Mira liebte diesen See auch. Er war eben, na ja, du weißt ja, wie sie war.
    - Er war schwarz. Ich weiß.
    Er war schwarz, ich weiß? Hatte ich das gerade gesagt? Max
     musste mich für vollkommen beschränkt halten. Ich tat, als hätte ich gerade etwas
     sehr Gescheites gesagt, und fragte dann:
    - Wie geht es Mira?
    - Oh gut, weißt du. Sie wohnt schon lange nicht mehr hier.
     Sie ist auch Juristin. In Berlin.
    Max hatte inzwischen auch festen Boden unter den Füßen.
     Wir standen ungefähr zwei Körperlängen voneinander entfernt.
    - Berlin. Das passt. Sie ist sicher in einer coolen
     Kanzlei und trägt teure schwarze Kostüme und schwarze Stiefel.
    Max schüttelte den Kopf. Er schien etwas erwidern zu
     wollen, überlegte es sich und sagte dann zögernd:
    - Ich habe sie schon lange nicht mehr gesehen. Nach dem
     Tod. Nach dem Tod deiner Kusine hat sie kein Schwarz mehr getragen. Sie kommt nicht
     mehr hierher. Ab und zu telefonieren wir.
    Ich weiß nicht, warum mich das so erschütterte. Mira in
     Farbe? Ich schaute Max an. Er sah ein bisschen aus wie Mira, hatte mehr
     Sommersprossen, die Mira damals sicher weggebleicht hatte. Seine Augen waren
     mehrfarbig. Braun war darin, und noch was Helleres, vielleicht grün oder gelb. Die
     gleichen schweren Lider. Ich erinnertemich wieder an sie. Seine
     Augen kannte ich schon, seit wir Kinder waren, sein Körper war mir fremd. Er war
     inzwischen ein ganzes Stück größer als meiner und etwas vorgeneigt, weiß, glatt,
     nicht richtig breit, aber durchtrainiert. Ich gab mir einen Ruck:
    - Max.
    - Was denn?
    - Max. Ich habe kein Handtuch.
    Er sah mich etwas verwirrt an, zeigte mit dem Kinn auf
     seinen Kleiderhaufen und öffnete den Mund. Doch bevor er mir sein Handtuch anbieten
     konnte, sagte ich schnell:
    - Und einen Badeanzug habe ich auch nicht. Ich meine,
     nicht an.
    Ich tauchte ein bisschen tiefer ins Wasser, als Max seinen
     Blick über meine Schultern streifen ließ. Er nickte. Konnte ich da vielleicht den
     Anflug eines Grinsens erkennen?
    - Ist gut. Ich wollte sowieso noch ein bisschen schwimmen.
     Nimm dir, was du brauchst.
    Sprachs, nickte kurz und kraulte davon.
    Was für ein angenehmer, ernsthafter junger Mann, und so
     höflich, murmelte ich, als ich aus dem Wasser schritt, und wunderte mich, warum das
     so beißend klang.

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