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Der Geschmack von Apfelkernen

Der Geschmack von Apfelkernen

Titel: Der Geschmack von Apfelkernen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hagena
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kniete ich hier unten vor dem Schreibtisch meines
     toten Großvaters und hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich ein Gedichtbuch
     gefunden hatte, das er vor über vier Jahrzehnten geschrieben hatte. Ich legte es
     wieder zurück. Das wollte ich mir für ein andermal aufheben. Jetzt musste ich mich
     um das Hühnerhock kümmern.
    Ich holte meine grüne Tasche mit dem Portemonnaie darin
     und fuhr los. Am Ortseingang gab es einen riesigen Baumarkt. Ich schloss mein Rad
     nicht ab, ging hinein und schnappte mir einen großen Eimer Farbe, zwei wären besser
     gewesen, aber ich war mit dem Fahrrad da, mehr als ein Eimer ging nicht, und selbst
     bei diesem warich mir nicht sicher, wie ich ihn zurückschaffen
     sollte. Ich griff noch nach einer Malerrolle und einer Flasche Terpentin und ging
     zur Kasse. Die Kassiererin, sie war vielleicht so alt wie ich, musterte mich und zog
     die Mundwinkel herab. Ich machte, dass ich mit meinem Kram hinauskam. Erst beim
     Versuch, den Farbeimer auf dem Gepäckträger festzuklemmen, wobei mir der Saum meines
     Kleides in die Kette geriet, wurde mir klar, warum die Kassiererin so frech geguckt
     hatte. Ich hatte immer noch das goldene Kleid an, und der Anblick des abgerissenen
     Saumes – jetzt auch noch mit schwarzen Schmierölflecken – trug nicht dazu bei, mein
     Selbstbewusstsein zu stärken und meine Laune zu heben. Ich stopfte Rolle und
     Terpentin in die Tasche, hängte sie mir quer über die Schulter, raffte das Kleid und
     klemmte es in die Beinausschnitte meiner Unterhose, damit es kürzer wurde. Beim
     Aufsteigen auf das Herrenrad rutschte mir um ein Haar der schwere Farbeimer vom
     Gepäckträger. Ich bekam ihn gerade noch zu fassen, schlenkerte dabei jedoch
     gefährlich mit dem Rad und fuhr fast in einen unschuldigen Baumarktbesucher. Er rief
     mir etwas hinterher, das nach »blöder Junkie« klang. Wahrscheinlich glaubte der
     Mann, ich säße den ganzen Tag mit meinen Freunden im Schneidersitz in der Garage, um
     dort einen 20-Liter-Eimer weißer Farbe nach dem anderen wegzuschnüffeln. Betroffen
     griff ich hinter mich, drückte den Eimer fest auf den Gepäckträger und fuhr
     einhändig und etwas verschwitzt den Weg zum Haus. Kurz vorher bog ich rechts in Max’
     Straße ein, ich wollte noch eben bei ihm vorbei und ihn fragen, ob noch Akten meines
     Großvaters im Keller des Büros deponiert waren. In Wirklichkeit wollte ich ihn aber
     einfach nur sehen, mein nächtliches Nachdenken hatte nämlich zu keinem Ergebnis
     geführt. DerGurt meiner Tasche schnitt mir inzwischen schmerzhaft
     in den Hals. Die Tasche selbst wurde beim Fahren von einem Knie auf das andere
     geworfen, wobei das Kleid langsam aus meiner Unterhose gezogen wurde und schon
     wieder in die Fahrradkette hing. Ich konnte aber nichts machen, weil ich mit einer
     Hand den Eimer und mit der anderen die Lenkstange festhalten musste. Aber dann war
     sowieso alles egal, denn gerade als ich fast bei Max angekommen war, flog mir eine
     kleine schwarze Fliege ins Auge. Sie zwickte mich gewaltig, und bald sah ich nichts
     mehr, weil meine Augen heftig tränten. Das Auto parkte einfach auf der rechten
     Seite, durfte es das? Wahrscheinlich schon, ich fuhr jedenfalls dagegen, ließ den
     Eimer los, ließ auch das Lenkrad los, das Rad kippte, vorher kippte der Eimer auf
     die Straße, und ehe ich noch um Hilfe schreien konnte, klatschte mir meine eigene
     Tasche mit der schweren Terpentinflasche ins Gesicht, und ich blieb stumm.
     Wenigstens hatte sie mich nicht niedergestreckt, denn zu Boden war ich schon vorher
     gegangen. Inzwischen hatte sich auch der Inhalt des durch den Aufprall geplatzten
     Eimers über die Straße ergossen und floss mir in die Haare und ins linke Ohr, auf
     dem ich lag. Aufstehen war unmöglich, denn irgendwie hatten sich meine Füße und auch
     meine Tasche in das Fahrrad gewickelt, ganz zu schweigen von meinem – früher einmal
     goldenen – Kleid. Ich hatte nicht vor, lange hier herumzuliegen, ich wollte mich nur
     sammeln, meine Extremitäten ordnen und dann die paar Meter nach Hause schieben. Da
     hörte ich Schritte an meinem rechten Ohr, am linken nicht, da war ja die weiße Farbe
     drin.
    - Iris? Iris, bist du das? fragte eine Stimme irgendwo
     über mir. Es war die von Max. Ich hatte das Gefühl, alszeigte ich
     mich gerade nicht von meiner vorteilhaftesten Seite, und wollte schon zu einer
     wortreichen Erklärung ansetzen, da fing ich tatsächlich an zu heulen. Auf diese
    

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