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Der Geschmack von Apfelkernen

Der Geschmack von Apfelkernen

Titel: Der Geschmack von Apfelkernen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hagena
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schweren Lidern an. Träge öffnete sie ihren kleinen dunkelroten Mund:
    - Ach?
    - Ja, Mira ist in Rosmarie enthalten. Und du, Iris, bist mir nur um ein Haar, vielmehr um ein i entwischt.
    Mira und ich schwiegen und probierten es im Kopf aus. ROSEMARIE. Nach einer Weile sagte ich:
    - Oh, es sind eine ganze Menge Dinge in dir enthalten.
    - Ich weiß, kicherte Rosmarie glücklich.
    - IRRE, sagte Mira. Und nach einer Pause:
    - IRRE und MIES.
    - EIS, sagte ich. Und nach einer Pause:
    - Ich habe Hunger.
    Wir lachten.
    Es war tatsächlich eine ganze Menge in Rosmarie enthalten. Irre und mies, Rose und Eis, Morse und Reim, Möse und Mars.
    In mir war nichts. Gar nichts. Ich war nur ich selbst, Iris. Blume und Auge.
    Genug. Die Wunden, die mit dem Haus kamen, hatte ich fürs Erste lange genug angestarrt. Von draußen ging ich in die Diele, dann durch die frühere Waschküche ins Kaminzimmer. Die gläserne Schiebetür quietschte, als ich sie mit aller Kraft zur Seite drückte. Die Steinplatten auf dem Boden machten das ganze Zimmer kühl. Trotz der großen Glastüren war der Raum dunkel, da die Trauerweide zu dicht an der Terrasse stand und alles Licht nur durch einen grünen Filter hineinließ. Ich trug einen der Korbsessel hinaus auf die Terrasse. Genau hier über mir war das Dach des Wintergartens gewesen. Berthas Vater hatte ihn damals selbst entworfen. »Dat Palmhuus« nannten die Bauern das gläserne Konstrukt spöttisch, denn der Deelwater’sche Wintergarten war sehr hoch, nicht nur so ein kleiner Anbau mit Butzenscheiben. Inzwischen jedoch schirmten die Arme der Trauerweide auch die neugierigen Blicke von der Straße ab.

    Doch bevor ich weiter über den Wintergarten nachdachte, wollte ich mich lieber an Peter Klaasen erinnern. Meine Mutter hatte mir die Geschichte erzählt, einiges habe ich selbst mitbekommen, und Tante Harriets Gespräche mit Tante Inga wurden regelmäßig von Rosmarie belauscht, die mir dann berichtete. Obwohl Peter Klaasen damals noch ganz jung war, vielleicht vierundzwanzig, hatte er silbernes Haar. Er arbeitete bei der BP-Tankstelle an der Ortsausfahrt. Inga war jetzt wieder oft im Haus. Nach Hinnerks Tod im Jahr zuvor zerfiel Berthas Gedächtnis immer schneller. Harriet und Rosmarie wohnten zwar dort, aber Inga konnte den beiden nicht die ganze Verantwortung für Bertha überlassen. Christa wohnte weit weg. Sie kam in den Ferien zusammen mit mir angereist, aber die meiste Zeit im Jahr waren keineFerien, also versuchte Inga wenigstens an den Wochenenden ihre Schwester zu entlasten. Jeden Sonntagabend stieg sie in ihren weißen VW Käfer und tankte an der BP-Tankstelle, bevor sie nach Bremen weiterfuhr. Jeden Sonntagabend war sie noch Stunden nach ihrem Besuch tief in Gedanken versunken, verstrickt in Angst und Trauer, aber auch Erleichterung darüber, wieder zurück in ihr Leben fahren zu dürfen. Und in Schuldgefühle gegenüber der einen Schwester, die das nicht konnte, und in Hassgefühle gegenüber der anderen, die ihr Leben einfach weiterlebte, nur weil sie verheiratet war. Inga war damals vierzig Jahre alt und nicht verheiratet, sie hatte keine Kinder und wollte auch keine, aber sie fand, dass Christa es sich schon sehr einfach machte. Dietrich war ein netter Mann, und er verdiente gut. Sie hatte ein Kind und unterrichtete acht Stunden Sport die Woche in der Realschule des Nachbarortes. Nicht weil sie es brauchte, sondern weil man sie gebeten hatte und weil sie es gerne tat. Natürlich wusste Inga, dass Christa mehr geholfen hätte, wenn sie näher an Bootshaven gewohnt hätte, aber sie tat es nicht, und das war ungerecht. Doch an den Sonntagabenden, wenn alle Menschen traurig sind, dass das Wochenende vorbei ist, saß Inga in ihrem kleinen, lauten Auto und sang.
    Tankstellen waren Inga nicht geheuer. Sie zog es vor, sich bedienen zu lassen. Und es bediente sie jeden Sonntag derselbe Mann mit grauem Haar über einem glatten Jungengesicht. Jeden Sonntag wünschte er ihr höflich eine schöne Woche. Sie bedankte sich mit einem zerstreuten Lächeln ihres schön gebogenen Munds. Nach drei Monaten, als der junge Mann begann, sie mit Namen zu begrüßen, sah sie ihn zum ersten Mal richtig an.
    - Entschuldigung. Sie kennen meinen Namen?
    - Ja. Sie kommen jeden Sonntag hierher und tanken bei mir. Seine Stammkunden sollte man mit Namen kennen.
    - So, so. Stammkunden. Aber woher wissen Sie, wer ich bin?
    Inga war verwirrt, sie wusste nicht, wie alt der Mann war. Er wirkte sehr jung, aber die Haare

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