Der Geschmack von Apfelkernen
der gewaltige Baumriesen miteinander gekämpft und dann ihre fetten grünen Keulen liegen gelassen hatten.
Hier wucherten Minze und Melisse, und wenn wir sie mit den nackten Beinen streiften, verströmten sie ihren frischen Duft, als versuchten sie, die fauligen Gerüche dieses Stücks Garten zu vertuschen. Kamille wuchs hier, aber auch Brennnesseln, Giersch, Disteln und Warzenkraut, das uns mit seinem dicken gelben Blut die Kleider ruinierte, wenn wir uns draufsetzten.
Eine von uns dreien wurde gefesselt und bekam ein Tuch um die Augen gebunden. Wir nahmen meistens den weißen Seidenschal von Hinnerk, der am einen Ende ein kleines Brandloch hatte und deshalb in den großen Bodenschrank verbannt worden war. Es ging immer reihum. Meistens fing ich an, weil ich die Jüngste war. Ich kniete also blind auf der Erde. Meine Hände waren locker zusammengeklebt, ich sah nichts, doch der scharfe Geruch des Gierschs, den ich unter mir zerdrückte, mischte sich mit den feuchtwarmen Ausdünstungen des Komposthaufens. In den frühen Nachmittagsstunden war es still im Garten. Fliegen surrten. Nicht die schwarzen Schläfrigen aus der Küche, sondern die blauen und grünen, die immer auf den Augäpfeln der Kühe saßen und sich dort vollsoffen.Ich hörte Rosmarie und Mira flüstern, sie hatten sich ein ganzes Stück von mir entfernt. Das Rascheln ihrer langen Kleider kam näher. Sie blieben vor mir stehen, und eines der beiden Mädchen sagte dann: »Friss oder stirb!« Daraufhin musste ich meinen Mund öffnen, und die, die es gesagt hatte, schob mir etwas auf die Zunge. Etwas, das sie gerade im Garten gefunden hatte. Ich nahm es mir rasch – noch bevor ich etwas schmecken konnte – mit den Zähnen von der Zunge, so konnte ich erst einmal feststellen, wie groß es war, ob hart oder weich, sandig oder sauber, und meistens konnte ich auch schon mit den Zähnen herausfinden, was es war: eine Beere, ein Radieschen, ein Büschel krause Petersilie. Erst dann nahm ich es zurück auf die Zunge, zerbiss es und schluckte es hinunter. Sobald ich den anderen meinen leeren Mund gezeigt hatte, rissen sie mir das Pflaster von den Handgelenken. Ich zog mir den Schal von den Augen, und wir lachten. Dann kam die Nächste dran, ließ sich fesseln und die Augen verbinden.
Es war erstaunlich, wie sehr es einen Menschen verunsicherte, wenn er nicht wusste, was er aß, oder etwas anderes erwartete, als er dann bekam. Johannisbeeren, zum Beispiel, waren leicht zu erkennen. Doch einmal glaubte ich, mit den Zähnen eine Johannisbeere ertastet zu haben, um dann verstört und von Ekel geschüttelt auf einer frischen Erbse herumzukauen. Ich mochte Erbsen, und ich mochte Johannisbeeren, aber in meinem Gehirn war diese Erbse eine Johannisbeere, und als Johannisbeere war sie eine Scheußlichkeit. Ich würgte, aber ich schluckte. Denn wer ausspuckte, musste nochmal dran. Und das zweite Mal war eine Strafe. Wer dann wieder ausspuckte, war draußen. Unter Hohngelächter wurde die Ausgeschiedene des Gartens verwiesen und durfte für den Rest des Tages und meistens auch für den nächsten Tag nichtmehr mit den anderen spielen. Rosmarie spuckte fast nie, Mira und ich ungefähr gleich oft. Mira vielleicht sogar ein bisschen öfter, aber später war mir der Verdacht gekommen, dass die beiden mich wohl etwas geschont hatten. Wahrscheinlich fürchteten sie, ich könnte sie bei meiner Mutter oder Tante Harriet verpetzen.
Das Spiel fing harmlos an und steigerte sich dann von Runde zu Runde. Es gab Nachmittage, da aßen wir zum Schluss Regenwürmer, Ameiseneier und faulige Zwiebeln. Einmal war ich überzeugt, die kleine haarige Stachelbeere zwischen meinen Zähnen müsse eine Spinne sein, denn sie war schon die Bestrafung für ein Stück glitschigen Porree, das ich aus meinem Mund hatte fallen lassen. Als sie zerplatzte und der Saft über meine Zunge rann, spie ich sie aus, dass es um mich herum nur so sprühte. Da war ich natürlich raus.
Ein anderes Mal zerkaute Rosmarie, ohne das Gesicht zu verziehen, eine Kellerassel. Nachdem sie sie hinuntergeschluckt und wieder die Hände frei hatte, nahm sie sich langsam das Tuch ab. Wir hielten den Atem an. Sie sah Mira und mich mit diesem schillernden Blick an und fragte versonnen:
- Wie viele Kalorien hat eigentlich so eine Assel?
Dann legte sie den Kopf in den Nacken und lachte. Wir versicherten ihr, dass das Spiel zu Ende sei und sie gewonnen habe, denn wir fürchteten ihre Rache.
Wir spielten es auch am Tag vor
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