Der Geschmack von Glück (German Edition)
umdrehen.«
»Wieso das denn?«
»Nichts ist so richtig unheimlich, wenn man es kommen sieht.«
Doch sie rührten sich nicht. Die Sonne ging weiter hinter ihnen unter, glitt auf die Bäume und Häuser der Stadt Henley zu, während vor ihnen zahlreiche Boote in den Hafen zurückkehrten. Ein riesiges Segelboot glitt vorüber, die mächtigen Leinwände flatterten im Wind. Graham schloss die Augen.
»Meine Eltern kommen nicht«, sagte er, und Ellie bewegte sich in seinen Armen.
»Zum vierten Juli?«
»Ich dachte wirklich, sie würden kommen.« Er schüttelte den Kopf. »Obwohl, das stimmt eigentlich nicht. Sie reisen nie irgendwohin. Aber ich habe sie auch noch nie darum gebeten.«
»Steht ihr euch sehr nahe?«
»Früher ja«, sagte er. »Vorher.«
»Vor dem ganzen …?« Er nickte, denn er wusste, was sie meinte. Schweigend verfolgten sie den Weg des Bootes, bis Ellie wieder seine Hand nahm. »Sie verpassen was.«
»Sie verstehen es nicht«, sagte er. »Den ganzen Filmkram.«
»Kannst du das nicht nachfühlen?«
»Doch, eigentlich schon«, sagte er leise. »Ich verstehe es ja selbst die meiste Zeit nicht.«
»Immerhin hast du Wilbur«, sagte sie, und er lachte.
»Stimmt.«
»Und mich.«
Er beugte sich vor und küsste sie auf den Scheitel. »Stimmt auch.«
Das Segelboot wurde zu einer Silhouette vor goldenem Wasser, und ein warmer Windhauch wehte Graham das Haar aus der Stirn.
»Tut mir leid mit deinem Vater«, sagte er, obwohl er dabei noch an seinen dachte.
Es dauerte einen Moment, bis sie antwortete. »Früher war es mir egal«, sagte sie. »Mit meiner Mutter habe ich echt Glück gehabt. Aber diesen Sommer ist es schwerer als sonst.«
»Meinetwegen?«, fragte er, doch sie antwortete nicht, sondern richtete sich auf und drehte sich zu ihm um. Ihre Augen glänzten entschlossen.
»Er verbringt das lange Wochenende in Kennebunkport.«
Graham sah sie ratlos an und fragte sich, was das zu bedeuten hatte. »Wo ist das denn?«
»Ein kleines Stück nördlich von hier«, sagte sie mit vorgeschobenem Kinn. »Er macht da mit seiner Familie Urlaub, und morgen fahre ich hin und besuche ihn.«
»Hast du das vorhin ausgeheckt?«, fragte er. »Weiß er, dass du kommst?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Und du hast ihn zuletzt als kleines Kind gesehen?«
»Richtig.« Sie nickte.
»Weiß deine Mutter davon?«
Ellie biss sich auf die Lippe. »Nein.«
Graham rieb sich seufzend den Hinterkopf. »Findest du das eine gute Idee?«
»Sollten Filmstars nicht eigentlich leichtsinnig und verantwortungslos sein?« Sie versuchte zu grinsen, aber das verging ihr rasch wieder.
»Ich meine ja nur –«
»Ist mir egal.« In ihren Worten lag harte Entschlossenheit. »Ich habe mich schon entschieden.«
Graham zögerte kurz, bevor er nickte. »Okay. Dann komme ich mit.«
Sie schaute überrascht auf. »Nein, kommst du nicht.«
»Wir haben morgen drehfrei, und ich habe am vierten sowieso nichts vor«, sagte er. »Machen wir eine kleine Spritztour.«
»Du bist viel zu auffällig.«
»Ich verschwinde in der Menge.«
Trotz ihrer Anspannung musste sie lachen. »Unmöglich.«
»Versprochen. Ich setze einen Cowboyhut auf. Und klebe mir einen Schnurrbart an.«
»Das ist ja überhaupt nicht übertrieben.«
»Berufskrankheit«, grinste er.
»Vorschlag.« Ellie stand auf, das Handtuch um die Schultern gelegt. »Ich schlafe drüber.«
»Ist gut.« Er stand ebenfalls auf. »Aber ich bereite für alle Fälle schon mal meine Verkleidung vor.«
Auf dem Weg über den Strand nahm er ihre Hand. Sie waren still, nur die Steine knirschten unter ihren Füßen, die Wellen brandeten ans Ufer.
Noch drei Tage , dachte Graham.
Er wollte keinen einzigen mehr verpassen.
»Bist du fertig für heute?«, fragte Ellie, ohne ihn anzusehen; sie schaute beim Gehen auf den unebenen Boden.
»Ja, bin ich«, antwortete er. »Hast du heute Abend was vor?«
»Nein«, er konnte das unterdrückte Lachen in ihrer Stimme hören, »wir könnten ja ein bisschen durch den Ort schlendern, im Lobster Pot essen gehen, dann vielleicht noch ein bisschen auf dem Grün rumknutschen …«
»Sehr witzig.« Sie kamen zu der kleinen Böschung zwischen Strand und Wäldchen und stiegen zusammen hinauf. »Wie wär’s mit einem Picknick? Wir könnten uns doch später wieder hier treffen.«
Sie nickte. »Klingt super.«
Zwischen den Bäumen war es dunkler, Graham ließ sich im blauen Dämmerlicht von Ellie führen, stolperte auf die Straße zu. Es kam ihm vor wie ein
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