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Der Geschmack von Glück (German Edition)

Der Geschmack von Glück (German Edition)

Titel: Der Geschmack von Glück (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer E. Smith
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kniff die Augen zu und wusste nicht, was sie antworten sollte. Mom hatte Recht, sie war traurig wegen Graham. Sie hatte gedacht, aus sicherer Entfernung könne sie es ertragen. Doch als sie ihn heute gesehen, so nah neben ihm gestanden hatte – da war sie wie von einem Magneten angezogen worden, kraftvoll und unwiderstehlich. Selbst jetzt, da sie unter der hoch stehenden Sonne im Wasser paddelte, fühlte es sich noch an, als ob sie das Gleichgewicht verloren hatte. Sie war schon vor Stunden bei Marv’s aus der Tür getreten, doch ein wichtiger Teil von ihr – zu wichtig, als dass sie darauf verzichten könnte – war dort geblieben.
    »Ist schon okay«, sagte Ellie schließlich sehr leise. »Es ist nicht deine Schuld.«
    Mom atmete aus. Ihre Arme, geisterhaft bleich, bewegten sich unter Wasser rasch. »Er ist sowieso bald weg«, sagte sie. »Dann wird es leichter.«
    Ellie öffnete den Mund, konnte aber nichts sagen. Eigentlich sollte der Satz helfen, das wusste sie, aber auf einmal wollte sie nur noch heulen.
    Moms Worte hallten ihr durch den Kopf: Drei ganze Wochen. So viel Zeit hatte sie vergeudet. So lange war es her, seit sie Graham geküsst hatte.
    Drei ganze Wochen.
    Weiter draußen glitt eine riesige Jacht langsam am blendenden Blau des Horizonts entlang, und Ellie fiel die Zeitungsmeldung über ihren Vater ein, dass er an diesem Wochenende in Kennebunkport sein würde, wahrscheinlich mit einem ganz ähnlichen Boot. Sie stellte sich vor, dass er in einer Villa direkt am Wasser wohnte und abends von einer eleganten Cocktailparty zur nächsten eilte. Tagsüber würde er mit seinen beiden Söhnen angeln gehen, die zwar wie Models aussahen, aber – nach allem, was Ellie über sie gelesen hatte – bestimmt nicht zu Lyrikseminaren in Harvard zugelassen würden.
    Sie schluckte heftig, weil alles so ungerecht war. Nicht nur, dass sie Stunde um Stunde schuftete, um das Geld für einen Ferienkurs zusammenzukratzen, an dem sie dann wahrscheinlich doch nicht teilnehmen konnte. Das war nur der Anfang. Als Nächstes kam das Studium: die ganzen Anträge für Stipendien, Moms nächtliche Sitzungen mit dem Taschenrechner und mit spitzem Bleistift. Die ständigen Sorgen um Haus und Laden, die endlosen Gespräche über Finanzen, die Schubladen voller Wertcoupons, das wäre alles kein Thema, wenn Paul Whitman noch zu ihrem Leben gehörte.
    Als Graham sie gefragt hatte, wie viel Geld sie noch brauchte, hatte die Frage sie wie eine Kugel getroffen. Für ihn waren tausend Dollar wahrscheinlich das Trinkgeld fürs Personal nach einem Wochenende im Luxushotel. So viel verdiente er wahrscheinlich jeden Tag als Zinsen. Für ihn waren das Peanuts. Kleingeld.
    Für sie war es aber immer noch eine unfassbare Summe. Es hätten genauso gut zehntausend Dollar sein können. Oder eine Million.
    Ellie hatte einen Kloß im Hals, als sie den Blick von der Jacht losriss. Bagel paddelte schon in Richtung Strand, und sie schauten dem weißen Karo auf seinem Hinterkopf nach, das beim Schwimmen auf und ab wippte.
    »Ich glaube, das ist ein schlauer Gedanke«, sagte Mom und stieß sich ebenfalls in Richtung Strand ab. »Ich verbrenne. Kommst du auch mit nach Hause?«
    Ellie tauchte das Kinn ins Wasser, schüttelte den Kopf und legte sich dann ganz auf den Rücken, so dass ihr Haar sich auf dem Wasser auffächerte.
    »Noch nicht«, sagte sie. »Ich komme ein bisschen später.«
    »Okay«, sagte Mom. »Aber treib nicht weg.«
    Das Wasser leckte in ihre Ohren. Über ihr unterhielten sich die Möwen quer über den weiten Himmel, und die Sonne ließ sich zum Strand herab. Sie wusste nicht, wie lange sie sich da draußen von den Wellen schaukeln ließ; ihr Körper wirkte so leicht, obwohl sie so viel Schweres mit sich herumtrug.
    Irgendwann drehte sie sich wieder um und schwamm zurück, wo sie sich in ein Handtuch wickelte und auf ihren Lieblingsfelsen setzte, der wie eine Miniklippe über die flache Bucht ragte. Sie spürte die warme Sonne auf den Augenlidern, das Salz auf der Haut, als das Wasser trocknete. Sie krallte die Zehen um die Felsenkante und legte die Arme um die Knie. Zwischen den Steinen entdeckte sie eine kleine runde Scheibe, und als sie danach griff, musste sie lachen.
    Ein Sanddollar. Ein flaches Seeigelskelett. Nicht gerade die Sorte Dollar, die sie brauchte.
    Sie legte ihn auf die Handfläche und untersuchte die gerundete Kante, die schwache Sternzeichnung in der Mitte. Draußen auf dem Wasser glitt wieder ein teures Boot

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