Der Geschmack von Glück (German Edition)
müden Augen trippelten übers Gras, und ein Hund, an einen Laternenmast gebunden, heulte laut. Es dauerte einen Moment, bis Graham Bagel erkannte.
Von plötzlicher Panik ergriffen sah er sich nach Ellie um. Hätte er vorhin die Nachrichten gelesen, würde er sich vielleicht nicht so nackt und bloß fühlen. Aber jetzt meinte er, die ganze Welt müsse etwas wissen, was er nicht wusste – all die Einzelheiten, die jetzt in Blogs und Zeitungen ausgebreitet wurden.
Auf der anderen Seite des Grüns kämpfte eine Frau mit einem wehenden Tischtuch, und als er die Farben – leuchtendes Rot, Weiß und Blau – sah, fiel es ihm wieder ein.
Heute war Nationalfeiertag.
Eine Gruppe Frauen mit Tabletts voller Kekse und Cupcakes eilte vorüber, zu beschäftigt, ihn und seine lähmende Unentschlossenheit zu bemerken. Er wusste, eigentlich sollte er raufgehen in sein Zimmer und gemeinsam mit Harry herausfinden, wie tief er wirklich im Schlamassel steckte. Er sollte sich die Fotos ansehen, seine Eltern anrufen, damit sie nicht allzu überrascht waren – der Gedanke erfüllte ihn mit unbestimmter Furcht –, und mit seiner Pressefrau den Schlachtplan durchgehen. Er sollte Mick erklären, was passiert war, sich beim Fotografen entschuldigen, Verantwortung für sein Handeln übernehmen.
Aber eigentlich wollte er nur in die entgegengesetzte Richtung rennen.
Als er Mrs O’Neill sah – sie stand auf einem Stuhl und wollte ein Transparent am Laubengang befestigen –, fiel ihm plötzlich ein, was Ellie heute vorhatte, und ohne weiter nachzudenken, ging er die Straße hinunter. Er zog sich die Kapuze über, um sein Gesicht zu verbergen, schob die Hände in die Hosentaschen und hastete an den Leuten vorbei, die alles fürs Fest aufbauten. Er bog in die Straße am Hafen ein, vorbei an den Booten, die sanft im ruhigen Wasser schaukelten. Sämtliche Hummer fürs heutige Fest waren schon gefangen, und am sonst um diese Zeit so belebten Dock war alles still. Später würden sicher Leute hinausfahren, um das Feuerwerk vom Wasser aus zu sehen, aber um diese Uhrzeit schwankte auch die Go Fish träge, denn sie hatte wie Graham drehfrei.
Als er bei Ellie ankam, war die Kühle des Morgens vergangen. Er hatte geglaubt, sie würde noch schlafen oder vielleicht im Haus beschäftigt sein, darum war er überrascht, sie vor dem offenen Garagentor zu sehen, als er in die Einfahrt bog. Sie hatte einen kleinen Rucksack dabei und eine Hand schon an der Autotür – ein von der Seeluft rostiger Familienkombi, der sicher einige Jahre auf dem Buckel hatte.
»Hi«, rief er, und sie fuhr mit vor Schreck geweiteten Augen und schuldbewusst erröteten Wangen herum. Doch als sie sah, dass es bloß er war, entspannte sie sich und lachte etwas zittrig.
»Ich dachte, du wärst meine Mutter«, sagte sie, öffnete die Autotür und warf den Rucksack hinein. Sie trug Jeans, ein lila Tanktop und eine Sonnenbrille in den Haaren und hatte ungefähr tausend neue Sommersprossen im Gesicht, nach dem Tag am Strand gestern.
»Passiert mir dauernd.« Graham ging zu ihr, lehnte sich an die Kofferraumklappe. »Auf eine Rolle festgelegt.«
Sie lächelte, aber nur kurz. »Hast du es gesehen?«
Er musste nicht fragen, was sie meinte. »Nein.« Er schüttelte den Kopf. »Ich habe es noch nicht über mich gebracht. Aber Harry hat gesagt, deinen Namen haben sie nicht.«
Ellie sah zu Boden. »Jedenfalls noch nicht.«
Beide schwiegen einen Augenblick, dann räusperte sie sich.
»Ich muss los«, sagte sie.
Graham nickte. »Ich komme mit.«
Sie sah ihn streng an. »Nein, kommst du nicht.«
»Wann wollen wir aufbrechen?« Er tat, als hätte er sie nicht gehört, doch sie schaute ihn nur ärgerlich an.
»Ich verstehe dich ja«, sagte sie. »Dass du heute hier wegwillst. Aber gestern Abend hat alles verändert. Das hier ist wichtig, und du bist viel zu auffällig.«
»Ich habe doch gesagt«, er versuchte wieder zu lächeln, »dass ich mich verkleide.«
Ellie schüttelte den Kopf. »Tut mir leid.«
Sie wandte sich zum Haus, und Graham folgte ihr unaufgefordert. »Was glaubst du denn, was passieren könnte?«
Sie fuhr herum und musterte ihn mit ihren grünen Augen. »Da gibt es eine Million Möglichkeiten. Es könnte dich jemand erkennen, wenn wir tanken müssen. Irgendeine Zwölfjährige im Auto neben uns könnte rüberschauen und all ihren Freundinnen SMS schicken. Könnte sein, dass uns Fotografen auf Motorrädern verfolgen.« Sie schüttelte den Kopf und
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