Der Geschmack von Sommerregen (German Edition)
bist.«
Einen Moment lang schaut sie mich verständnislos an. »Meinen Prinzipien … ach so!« Wieder lacht sie und schüttelt den Kopf. »Du meinst meine Drei-Monats-Regel. Nee, der bin ich nicht untreu geworden.«
An ihrem vierzehnten Geburtstag hatte Lena die Regel aufgestellt, mit keinem Jungen zu schlafen, mit dem sie nicht mindestens drei Monate lang zusammen ist. Da ihre Beziehungen bisher nie so lange gehalten haben, ist Lena immer noch unschuldig. Sehr bewundernswert – und ein bisschen nervig: Warum hat sie sich so gut im Griff und ich nicht? Ich kämpfe ja schon nach einer einzigen Woche mit meiner wahnsinnigen Lust auf Mattis!
»Na, Gott sei Dank«, sage ich halbherzig. »Und was ist es dann?«
Lena atmet tief durch und hebt feierlich die rechte Hand. »Das hier.«
Und da sehe ich ihn: einen schmalen, silberfarbenen Ring.
Baff starre ich auf den Ring, bis ich es schaffe zu stottern: »Du … Mensch, Lena … Ein Ring?«
Sie lässt die Hand wieder sinken und wirkt ein bisschen verlegen. »Es ist bloß ein Freundschaftsring! Du kannst dich wieder einkriegen. Ich bin nicht verlobt, okay?«
»Okay«, hauche ich und kann es kaum glauben. Da fährt meine nüchterne Freundin, die immer Lichtjahre braucht, um sich zu verlieben, ein einziges Mal mit einem Jungen in den Urlaub, und womit kommt sie zurück? Mit einem Ring!
»In Prien gibt es dieses süße Schmuckgeschäft«, erzählt Lena und rutscht aufgeregt auf dem feuchten Boden herum, »und als wir abends bummeln waren und ich im Schaufenster so hübsche Ohrringe gesehen habe, hat Leon auf den Ring daneben gezeigt und gesagt, der würde mir bestimmt gut stehen.« Sie kichert. »Am nächsten Tag ist er in der Mittagspause losgezogen und hat ihn mir gekauft. Ist das nicht süß? Er trägt den gleichen.«
»Oh«, mache ich schwach.
»War gar nicht teuer«, beeilt Lena sich zu sagen. »Jetzt guck nicht so! Du machst mich ganz verlegen.«
Ich versuche mich zusammenzureißen. Aber dass es so ernst ist zwischen Leon und meiner besten Freundin, muss ich erst mal verdauen. Ob sie in Zukunft überhaupt noch Zeit für mich haben wird?
Und ich für sie?, schießt es mir durch den Kopf.
Sofort habe ich ein schlechtes Gewissen. Welches Recht habe ich, mir um Lenas Zuneigung zu mir Sorgen zu machen, nachdem ich selbst in den gesamten Ferien kaum einen Gedanken an sie verschwendet habe? Ich war mit Mattis beschäftigt, morgens, mittags und abends, in Gedanken und Taten. Mattis und ich – etwas anderes hatte in meinem neuen Kosmos keinen Platz.
Ich knete meine Hände. »Tja. Dann muss ich dir wohl auch was gestehen.«
»Du hast M . B. im Freibad getroffen!«, sagt Lena wie aus der Pistole geschossen.
»Nein. Aber am Weiher.«
»Echt?« Lena wird noch zappeliger, als sie es eh schon ist. »Und, hast du mit ihm geredet?«
»Kann man so sagen. Wir sind zusammen, Lena.«
Jetzt ist sie es, die völlig baff ist.
Ich muss lächeln, aber wirklich unbeschwert fühlt es sich nicht an. Wie ein Schwarm dunkler Krähen fliegen die Gedanken über mein Glück, die mir seit gestern nicht mehr aus dem Kopf gehen wollen: Mattis glaubt, mich zu lieben. Doch wen liebt er da eigentlich? Wird er aufhören, mich zu mögen, wenn ich mich ihm offenbare? Darf ich mich ihm offenbaren? Muss ich es?
»Du und M . B.!«, stößt Lena hervor. »Wow, das ist ja so was von sensationell! Was meinst du, wie Viv und Börny gucken werden, wenn sie das erfahren!«
Ich schlucke.
Lena greift nach meiner Hand. »Was hast du denn, Sophie? Bist du denn nicht irrsinnig glücklich?«
»Doch. Klar. Natürlich bin ich glücklich.«
Meine Stimme klingt dünn und falsch, und ich meide Lenas Blick. Aber warum sollte ich vor Freude und Stolz in die Luft springen, wenn Mattis’ Zuneigung vielleicht morgen schon Vergangenheit sein wird?
Lena lässt meine Hand los und verschränkt die Arme vor der Brust. »Du verschweigst mir doch was«, stellt sie mit schmalen Augen fest.
»Ach, Quatsch.«
»Du brauchst es gar nicht zu leugnen! Du hast den heißesten Jungen der ganzen Schule an Land gezogen, und du schnappst nicht vor Freude über? Das ist doch nicht normal!«
Als ich bloß mit den Schultern zucke, fügt Lena mit gerunzelter Stirn hinzu: »Sophie, du hast dir für den Kerl die Augenbrauen gegelt und dich von deinem Pferdeschwanz verabschiedet. Du hast mir verzweifelte Zettelchen geschrieben und von Liebe auf den ersten Blick gefaselt. Du warst total neben der Spur! Und jetzt bist du seine Freundin
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