Der Geschmack von Sommerregen (German Edition)
aber mal langsam«, wirft Tobias ein. »Es ging nicht nur um Mattis und mich, als wir beschlossen haben umzuziehen. Du hattest dir auch mehr Platz für deine Kunst gewünscht. In München hattest du kein Atelier.«
»Stimmt«, sagt Nathalie munter. »Aber von meiner Kunst reden wir im Moment nicht. Sondern von eurer Hochsensibilität.«
Tobias seufzt.
Mattis ist knallrot geworden und gibt ein Geräusch wie Donnergrollen von sich.
»Reden wir doch einfach über etwas ganz anderes«, schlägt Johannes unbehaglich vor. »Okay?«
Aber Nathalie ist nicht mehr zu stoppen. So, wie sie unbedingt den perfekten Farbton finden musste, bevor sie einkaufen ging, möchte sie jetzt unbedingt die perfekte Erklärung des Phänomens Hochsensibilität liefern, bevor sie über etwas anderes spricht. Und ich fange an zu ahnen, dass die fröhliche, vor Energie sprühende Nathalie Bending für den hochsensiblen Teil der Familie ganz schön anstrengend sein kann.
»Nur um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, Sophie«, sagt sie und streckt den Zeigefinger in die Luft, »die Veranlagung an sich ist überhaupt kein Problem, wenn man ein bisschen auf sich achtet. Wie gesagt, sie bringt auch viele Vorteile mit sich. Man sollte sich halt bloß nicht überfordern – weil man einfach schneller gestresst ist als Nicht-Hochsensible. Aber wenn man das weiß, kann man ja gegensteuern und mit ganz einfachen Mitteln für Ausgleich sorgen, zum Beispiel, indem man –«
Mattis springt auf und stößt seinen Stuhl zurück. Mit tiefschwarzen Augen funkelt er seine Mutter an. »So. Hast du genug über mich geredet? Bist du fertig, ja? Dann gehe ich jetzt mit Sophie an den Weiher, mir ist der Hunger nämlich vergangen. Du stresst mich gerade ganz gewaltig, Mama, nur damit du’s weißt, und am Weiher«, wütend äfft er Nathalie nach, »kann ich so schön für Ausgleich sorgen. Mit dem ganz einfachen Mittel , dass ich mir dein therapeutenmäßiges Gelaber nicht mehr anhören muss.«
Er streckt mir die Hand entgegen und bellt: »Komm!«
Ich stehe erschrocken auf. Mein Blick fliegt zwischen Nathalie und Mattis hin und her. Ich habe Mattis noch nie so sauer gesehen, und obwohl ich ihn verstehe, tut mir Nathalie leid, die mit offenem Mund zu ihrem Sohn hochstarrt, den Zeigefinger wie eingefroren in der Luft.
Zugegeben, Nathalie ist ziemlich übers Ziel hinausgeschossen. Aber im Gegensatz zu meinen Eltern schweigt Mattis’ Mutter wenigstens nichts tot! Sie verleugnet die Hochsensibilität ihres Mannes und ihres Sohnes nicht, sondern geht offen damit um, sieht die Vorteile, liest Bücher darüber, informiert sich. Und sie droht niemandemmit der Psychiatrie.
Weiß Mattis eigentlich, wie gut er es hat?
Scheiße, wenn ich das jetzt laut sage, geht Mattis allein an den Weiher.
Ich räuspere mich. »Tja, äh, dann danke fürs Essen«, sage ich lahm, gehe um den Tisch herum und greife nach Mattis’ Hand. Sofort setzt er sich in Bewegung, strebt wie unter Zwang zur Tür. »Wir können ja ein andermal weiterreden«, sage ich über die Schulter zu Nathalie, was mir ein drohendes Knurren meines Freundes einbringt.
Das Letzte, was ich höre, ist Tobias’ Stimme. »Du könntest dich wirklich etwas mehr zurückhalten!«, meint er vorwurfsvoll zu seiner Frau. »Was soll Sophie denn jetzt von Mattis denken?«
Mattis knallt die Esszimmertür hinter uns zu, dass der Rahmen wackelt.
Und mit einem Mal bin ich fast erleichtert, dass bei den Bendings auch nicht alles perfekt ist.
Zweiundzwanzig
Wir liegen auf der Pappelwiese, in der stillgrünen Einsamkeit, die ich mittlerweile lieben gelernt habe. Mein Kopf ruht auf Mattis’ nasser Brust, meine Hand auf seiner Schulter. Er hat ziemlich viele Schwimmrunden gebraucht, um sich abzureagieren, und ich habe mangels Bikini am Ufer gesessen und ihm zugeschaut. (Was nicht die schlechteste Art war, meine Zeit zu verbringen, denn Mattis sieht beim Kraulen einfach megaheiß aus.)
Jetzt hat er den Arm um mich gelegt, ich höre seinen Herzschlag, und wenn mich sein Ärger nicht so sehr berühren würde, dann hätte ich schon wieder Lust auf ihn.
Okay. Ich habe schon wieder Lust auf ihn.
Wie könnte es auch anders sein? Mattis ist braungebrannt und fast nackt, die Tropfen auf seiner Haut glitzern in der Sonne, unser unterbrochenes Liebesspiel in der Laube schreit nach einer Fortsetzung, und ich kann nicht anders und drücke meine Lippen auf seine glatte Haut.
Mattis streicht mir übers Haar. Mit belegter Stimme
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