Der Geschmack von Sommerregen (German Edition)
fragt er: »Schreckt es dich nicht ab?«
Ich hebe den Kopf und schaue ihm in die Augen. »Was denn?«
»Das, was meine Mutter dir erzählt hat.«
»Dass du hochsensibel bist? Nein. Wieso?«
»Findest du das nicht …«, er räuspert sich, schaut in den Himmel. »Na ja. Irgendwie … unsexy?«
Ich muss lachen. Mattis ist nun wirklich der letzte Junge im gesamten Universum, den ich jemals als unsexy bezeichnen würde.
»Lach nicht«, sagt er düster.
»Mattis.« Ich warte, bis er mir wieder in die Augen schaut. »Du bist, wie du bist, und genau so habe ich dich kennengelernt. Du hast es mir doch selbst erklärt! Ist doch scheißegal, ob du einfach öfter mal die Stille brauchst, wie du das ausgedrückt hast, oder ob dieses Bedürfnis einen Namen hat.«
Mattis atmet tief ein. »Aber Hochsensibilität«, sagt er unglücklich. »Das klingt so nach Mimose. Oder, noch schlimmer, als hätte ich irgendeine Krankheit.«
»Quatsch. Hochsensibilität ist doch keine Krankheit!« Schätze ich jedenfalls. »Ist es doch nicht, oder?«
»Nein.« Mattis schaut wieder in den Himmel. »Und deshalb verstehe ich auch nicht, warum meine Mutter ständig mit dieser Bezeichnung um sich werfen muss.«
»Was bezeichnet wird, verliert seinen Schrecken, nehme ich an. Deine Mutter macht sich dann keine Sorgen, wenn du heimkommst und dich in deinem Zimmer verkriechst, statt irgendwo mit deinen Freunden abzuhängen wie die anderen Jungs. Sie weiß, dass du das eben brauchst. Weil du hochsensibel bist.«
Mattis presst die Kiefer aufeinander. »Trotzdem hasse ich es, wenn sie so über mich spricht. Ich komme mir dann vor wie eine Kuriosität. Wie irgendein seltsames, exotisches Tier.«
Plötzlich fühle ich mich unbehaglich. Das Gespräch driftet in eine Richtung ab, die meinen eigenen Problemen viel zu nahe kommt. Mattis kommt sich nur seltsam vor. Ich bin es.
Ich setze mich auf und schlinge mir die Arme um die Knie.
Mattis setzt sich ebenfalls auf und sagt zerknirscht: »Sorry. Ich sollte aufhören, mir selbst leidzutun. Kommt nicht mehr vor, ja?«
»Ach, Mattis.« Ich wende mich von ihm ab und schaue über den Weiher. Mit aller Macht schlucke ich den Kloß in meinem Hals hinunter, kämpfe darum, Mattis nicht merken zu lassen, wie viel Angst ich habe. Davor, dass alles vorbei ist, wenn ich mich entschließe, ehrlich zu ihm zu sein.
Herrje, wie konnte ich auch nur für eine Sekunde vergessen, dass meine verfluchten Farben immer noch zwischen uns stehen? Bitter frage ich mich, ob ich vorhin in der Laube tatsächlich mit Mattis geschlafen hätte. Obwohl er von der wahren Sophie überhaupt nichts ahnt. Wäre das nicht ein riesengroßer Betrug an seinem Vertrauen in mich gewesen, an seiner Liebe? Wie unendlich mies hätte ich mich danach wohl gefühlt?!
Als ich die Tränen zurückgedrängt habe – aufgehoben für später, wenn ich allein bin –, sage ich leise: »Ich hab das ernst gemeint, Mattis. Dass ich dich liebe. Dich, mit all deinen Eigenheiten, mit allem, was dich ausmacht. Du bist perfekt für mich. Nichts an dir könnte mich jemals abschrecken.« Und es wäre schön, so schön, wenn du mich genauso bedingungslos lieben würdest. Aber wie soll ich das herausfinden – ohne Gefahr zu laufen, dass du mich fallenlässt?
Mattis lächelt. Er sieht erleichtert aus, und fast beneide ich ihn darum. Er greift nach meiner Hand, zieht mich an sich und lässt sich dabei auf den Rücken sinken, sodass ich halb auf ihm zu liegen komme. Meine Haare fallen wie ein Vorhang um sein Gesicht.
»Wenn du mich liebst und ich dich«, sagt er leise, »wie kommt es dann, dass du so bedrückt wirkst?«
Klar, denke ich wehmütig, Mattis ist ja hochsensibel. Er erkennt meine Stimmungen. Egal, wie sehr ich versuche, mich zu verstellen.
Ich fühle seinen forschenden Blick auf mir, will etwas sagen, doch mir fehlen die Worte. Stattdessen wird mir bewusst, wie nahe wir uns sind. Mein Busen drückt an Mattis’ feuchten Oberkörper, sein Gesicht ist nur wenige Zentimeter von meinem entfernt, und das gierige Blau in mir macht sich bereit, aufzuwallen, um das Staubgrau meiner Traurigkeit und die schmutzigen Schlieren meiner Angst zu verdrängen.
Ich werde mich damit auseinandersetzen!, schwöre ich mir inbrünstig. Ich werde mehr über diesen verdammten inneren Monitor herausfinden, ich werde ihn nicht mehr verdrängen! Ich werde mir ein Beispiel an Nathalie nehmen und offen, absolut offen damit umgehen.
Aber später.
Nicht jetzt.
Noch ein Mal, nur ein
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