Der Geschmack von Sommerregen (German Edition)
– Farben. Keine Vorboten der Psychiatrie. Keine Dämonen, die es mit aller Kraft zu bekämpfen gilt.
Ich schaue auf Mattis und würde am liebsten den Bildschirm küssen. Lächelnd speichere ich das Foto ab.
Entschlossen nehme ich mir vor, auf jeden Fall damit weiterzumachen, am besten gleich am Wochenende. Ich möchte all meine Gefühle zu Fotokunst werden lassen: meine Liebe zu Mattis und mein Begehren. Meine Angst vor dem, was mich bei meinen Nachforschungen über Oma Anne erwartet. Die Furcht, Vivian und ihr Gefolge könnten mir etwas antun, etwas Schlimmes, Gemeines, von dem ich noch nichts ahne. Die Gefühle von Demütigung und Wut, die ich in Noahs Nähe verspüre. Die Zärtlichkeit für meine Mutter, die kindliche Liebe für meinen Vater. Enttäuschung und Reue, Glück, Verzweiflung und Hoffnung, das Spitze und das Wässerige, das Flauschige und die Wellen – all das möchte ich rauslassen. Nie mehr verbergen, sondern alles wahrnehmen, übersetzen und sichtbar machen. Was für ein Traum!
Ich atme tief durch.
Es riecht nach Dunkelheit, Gras und ersten Kirschen, ein süßer, intensiver Sommernachtsgeruch, und ich wünsche mir, ich könnte diesen Geruch in meiner Erinnerung behalten. Um ihn abzurufen, wenn ich das nächste Mal Angst vor meinem Dämon habe. Dem Dämon, der vielleicht gar keiner ist. Würde er mir sonst helfen, denke ich und schaue ein letztes Mal auf meinen goldblauen Robin Hood, solche Bilder zu erschaffen?
Ich schließe das Programm, fahre den Computer runter und schlappe hinüber ins Bad. Im Spiegel schaut mir eine Sophie mit Augenringen, aber ziemlich zufriedenem Lächeln entgegen. Das allerdings eine Spur weniger zufrieden wird, als mir einfällt, dass ich in kaum sechs Stunden schon wieder aufstehen muss, um mich für die Schule fertigzumachen. Wo mich Vivian und Börny mit ihren lauernden Blicken erwarten.
Aber was soll’s. Ich gehe jetzt ins Bett und träume von Mattis und meinen Fotos.
Und dem Rest stelle ich mich morgen.
Vierundzwanzig
Als Mattis am nächsten Nachmittag an der Haustür klingelt, bin ich richtig aufgeregt: Endlich sieht er mehr von meinem Zuhause als die Haustür und den Flur.
Und er will sich alles ganz genau anschauen. Interessiert sich für jeden Winkel, genau wie ich selbst, als ich zum ersten Mal bei den Bendings war. Beguckt sich das Wohnzimmer, die Küche, das Arbeitszimmer und die Terrasse. Sogar durch den Garten lässt er sich führen. Als wir mein Tannenversteck erreichen, wirft er mir einen unschuldigen Blick zu und bemerkt, das sei ja ein sehr lauschiges Plätzchen.
Ich lache. »Sorry, mein Lieber. Das lauschige Plätzchen gehört Lena und mir.«
»Jammerschade.« Mattis grinst und legt mir den Arm um die Taille.
Wir schlendern zurück ins Haus, machen uns einen Kaffee und trinken ihn auf den flachen Stufen, die zur Terrasse runterführen. Ich lehne mich an Mattis’ Schulter. Die Junisonne brennt auf unsere Köpfe, ein Kohlweißling flattert um den Lavendel herum, und ich fühle mich einfach nur wohl.
»Was machst du eigentlich heute Abend?«, frage ich Mattis und blinzele träge ins grelle Licht.
»Bogenschießen«, sagt er. »Ein paar der Jungs wollen ein Turnier veranstalten. Kein richtiges, nur so zum Spaß.«
»Wie viele seid ihr denn?«, will ich wissen.
»Zehn. Manche sind schon älter, der Jüngste ist erst vierzehn. Aber sie sind alle nett. Es ist echt entspannt mit denen.«
»Dann vermisst du deine Freunde aus München also nicht mehr so sehr.«
»Doch. Schon.« Mattis zögert, und ich schaue ihn fragend an.
Er erwidert meinen Blick und lächelt. »Aber ich lebe jetzt hier. Und wenn ich mir dich so ansehe, bin ich verdammt froh darüber.«
Mattis legt seine sonnenwarme Hand an meine Wange und küsst mich. Und während ich unter seinem Kuss dahinschmelze und dabei denke, wie froh ich erst bin, dass er jetzt hier wohnt, fällt mir auf, dass ich mich kaum mehr danach sehne, in die Großstadt zu ziehen. Nicht, wenn Mattis lieber in Walding lebt.
»Und du?«, fragt er, als er mich wieder loslässt. »Freust du dich schon auf die Disco heute Abend?«
»Auf Lena freu ich mich«, sage ich. »Die Party selbst … na ja. So toll ist Disco im Jugendhaus nicht.« Ich schiele zu ihm hoch. »Dir kommt das sowieso provinziell vor, oder?«
»Och«, macht er höflich.
Ich zwicke ihn in die Seite. »Sei ehrlich, Mattis Bending!«
Mattis grinst. »Vielleicht ein klitzekleines bisschen.«
»Wusste ich’s doch«, flachse ich. »Du bist
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