Der Geschmack von Sommerregen (German Edition)
schnell meine alten Urkunden von den Wänden gerissen habe (3. Platz beim Skirennen auf der Zugspitze2012 , 7. Platz beim Eiskunstlauf2010 , Ehrenurkunde bei den Bundesjugendspielen 2009). Er weiß auch nicht, dass ich mir sonst nie die Mühe mache, goldgelbe Rosen zu schneiden und in eine schmale Vase ans offene Fenster zu stellen. Und dass bis vor einer halben Stunde die Frottee-Bettwäsche mit den bunten Herzchen aufgezogen war, nicht die glatte weiße aus Satin.
Mit klopfendem Herzen führe ich ihn in mein generalüberholtes Zimmer, und Mattis bleibt genau in der Mitte stehen.
»Kaum zu glauben, dass ich heute zum ersten Mal hier bin«, sagt er kopfschüttelnd. »Dabei warst du schon so oft bei mir!«
»Ja, wurde echt Zeit«, murmele ich nervös.
»Warum willst du mich eigentlich nicht mal deinen Eltern vorstellen?«
»So richtig offiziell, meinst du?« Ich verziehe das Gesicht. »Weil du dich fühlen wirst wie bei der Inquisition. Nur ohne Streckbank.«
»Das nehme ich in Kauf.«
»Ehrlich?«
Mattis lächelt und zieht mich an sich. »Ganz ehrlich«, sagt er und schaut mir tief in die Augen.
So tief, dass mir ganz schwummerig zumute wird.
Und noch schwummeriger wird mir, als er sich zu mir herabbeugt und mich küsst.
In meinem Inneren beginnen blaue Flammen zu tanzen. Ich spüre Mattis’ Wärme, seinen Mund, seine Zunge. Rieche seinen männlichen Duft, fühle seine Hände auf meinem Rücken. Und unversehens werden die tanzenden, blauen Flammen in meinem Körper zum Flächenbrand.
Mein Kuss wird leidenschaftlich und verlangend, verliert jegliche Unschuld. Meine Hände gehen auf Wanderschaft, gleiten unter Mattis’ T-Shirt, über seine nackte Haut. Hungrig streiche ich über seinen Rücken und über die Muskeln an seinem Bauch.
Und Mattis’ Körper reagiert. Seine Umarmung wird fester, seine Zunge fordernder. Er schiebt mein Top und das Bustier hoch, umfasst meine Brüste, und seine Daumen auf meinen Brustwarzen jagen kleine Stromschläge durch meinen Körper.
Unsere Becken beginnen wie von selbst, sich aneinander zu reiben. Bald kann ich kaum mehr denken, so versunken bin ich in unsere hitzigen Zärtlichkeiten. Ich will Mattis erforschen, liebkosen, erregen, und auch er soll mich entdecken, überall und sofort. Oh ja, ich will ihn, ich will ihn so sehr, will ihn hier in meinem Zimmer, auf meinem weißen Bett … Verflucht, wie soll ich es nur schaffen, heute nicht mit ihm zu schlafen?
Ich reiße mich los, trete keuchend einen Schritt zurück. Ziehe mir hastig Bustier und Top über die Brust, um nicht halbnackt vor ihm zu stehen.
Nur noch ein paar Tage warten, hämmere ich mir ein. Nur noch so lange, bis ich genügend über mich weiß! Denn Mattis soll mit mir schlafen, mit mir, wie ich wirklich bin. Ich darf ihn nicht täuschen! Er soll um mein wahres Wesen wissen – und er soll mich trotzdem wollen.
Bei Gott, ich werde es rauskriegen, alles: Was mit meinen Genen los ist, mit meiner Psyche und mit den Leichen im Keller meiner Familie. Dann werde ich mich Mattis offenbaren, werde ihm meine Seele offenlegen, und wenn er mich danach noch liebt … dann kann er alles von mir haben.
Aber vorher nicht.
»Mattis«, stoße ich hervor, »ich möchte noch ein paar Tage warten.«
Mattis starrt mich an, als spräche ich einen komplizierten polynesischen Dialekt.
»Mit, ähm, dem letzten Schritt«, stottere ich.
Mist, das klang echt abturnend. Mit dem letzten Schritt, au Mann! Über Sex zu reden ist wirklich nicht meine Stärke.
Mattis steht vor mir, mit zerzaustem Haar, und seine Jeans ist im Schritt ziemlich ausgebeult. »Warum?«, fragt er heiser.
»Warum?«, wiederhole ich perplex.
Ehrlich, mit dieser Frage habe ich nicht gerechnet. Was soll das denn heißen, warum? Mädchen wollen doch meistens warten! Zumindest in den amerikanischen Romanen, die in Massen auf meinem Nachttisch liegen. In denen will der Held der Heldin grundsätzlich sofort an die Wäsche, aber sie – zumindest wenn sie zu den Guten gehört und nicht zur Schlampen-Fraktion – sagt immer Nein. Außer der Held ist ein Vampir, dann sagt er Nein. So oder so: Sex ist tabu, bis beide wahlweise achtzehn sind oder verheiratet oder siebenhundert Jahre lang zusammen.
Muss man ein »Ich möchte noch ein paar Tage warten« also tatsächlich hinterfragen?
Offensichtlich schon, dämmert es mir, als ich in Mattis’ verwirrte Miene blicke. Er scheint überhaupt nicht zu begreifen, warum ich ihn erst derartig wild küsse, ihn unter vollem
Weitere Kostenlose Bücher