Der Geschmack von Sommerregen (German Edition)
finsterer als die Hölle.
Langsam öffne ich das Gartentor. Ich gehe auf Mattis zu, während er mich schweigend und regungslos fixiert. Er hat die Hände in den Hosentaschen vergraben, sein schwarzbraunes Haar ist feucht, und die Sehnsucht nach ihm krampft mir das Herz zusammen. Nur Mattis’ düsterer Blick und seine zusammengepressten Lippen halten mich davon ab, einfach loszurennen und ihm um den Hals zu fallen. Ich rufe mir in Erinnerung, dass Mattis immer noch davon überzeugt ist, dass ich mit Noah rumgemacht habe. Gott, ich kann von Glück sagen, wenn er mich auch nur anhört! Umarmungen oder Küsse sind definitiv noch nicht drin.
Warum ist er überhaupt hier?
Kalt wie Eis drängt sich eine Vermutung in mein Bewusstsein: Mattis ist gekommen, um mit mir Schluss zu machen. Per SMS erledigt er so was nicht. Das hat er damals bei Nicola bewiesen. Und heute … Heute bin ich dran.
Bitte nicht. Bitte, bitte nicht.
Ich ziehe unwillkürlich den Kopf zwischen die Schultern, als ich einen halben Meter vor ihm stehen bleibe.
»Hallo, Mattis«, sage ich und kann nicht verhindern, dass meine Stimme zittert.
Mattis’ Augenbrauen sind grimmig zusammengezogen. »Warst du bei Noah?«, knurrt er anstelle einer Begrüßung. »Die ganze Nacht?«
Er ist also immerhin noch eifersüchtig, schießt es mir durch den Kopf. Ich versuche mir einzureden, dass das ein gutes Zeichen ist. Mattis scheint mich noch nicht völlig abgeschrieben zu haben.
Er mustert mich argwöhnisch, und ich zwinge mich, meine Schultern fallen zu lassen. Meinen Nacken zu entspannen. Seinen dunklen Blick offen zu erwidern. Ich schaffe das, sage ich mir. Ich kann Mattis von der Wahrheit überzeugen. Ich kann ihn dazu bringen, mir zu glauben.
»Bei Noah? Das traust du mir zu, Mattis?«
Verunsicherung flackert in seinen Augen auf. Trotzdem sagt er abweisend: »Wundert dich das? Nach diesem Video?«
»Ja, das wundert mich.« Ich hole tief Luft. »Weil du mich kennst, Mattis. Weil du weißt, dass ich dich liebe. Ich will dich , nur dich, niemanden als dich.«
Mattis wendet sich von mir ab. Weil er mit seinen Gefühlen kämpft? Oder weil er es nicht mehr ertragen kann, solche Worte aus meinem Mund zu hören? Ich betrachte sein schönes Profil, den Mund, den ich so gern küssen würde, die schwarzen, nassen Haarsträhnen, durch die ich mit meinen Fingern streichen will. Mutig, fällt es mir ein, mutig wollte ich doch sein, jetzt, wo ich mit mir selbst im Reinen bin.
Mutig sein.
Ich kann das.
Und deshalb trete ich vor, bis ich Mattis ganz nahe bin. Fast berühren wir uns, ich kann seine Körperwärme schon spüren, und Gott sei Dank, Mattis weicht nicht zurück. Elfenbein und Gold durchfluten mich, als ich die Hände hebe und sie um Mattis’ Gesicht lege.
»Schau mich an«, flüstere ich und drehe seinen Kopf sanft in meine Richtung.
Die Trauer in seinen Augen vertreibt jeglichen Zweifel daran, ob Mattis mich noch liebt.
Er tut es, und ich habe ihm das Herz gebrochen.
Aber ich habe auch die Macht, sein Herz wieder zu heilen.
»Ich war bei meiner Großmutter in München, Mattis, nicht bei Noah. Noah ist ein Widerling, und ich habe Freitagnacht keine Sekunde lang daran gedacht, mit ihm rumzumachen. Es ist nichts passiert, außer dass ich total betrunken war und mich kaum auf den Beinen halten konnte und … und Noah versucht hat, das auszunutzen. Mattis, ich war saumäßig blöde, mich so zu besaufen. Aber ich war nicht untreu.«
Mattis sagt nichts, doch ich erkenne die aufkeimende Hoffnung in seinem Blick. Also rede ich einfach weiter, rede und rede wie ein Wasserfall. Ich will ihm alles sagen, alles erklären, und wenn er nur die Hälfte versteht, nun, dann sage ich eben alles noch einmal. So lange, bis er mir glaubt. So lange, bis alles wieder gut ist.
»Ich war vor Monaten mal mit Noah zusammen, er war der Erste, mit dem ich geschlafen habe, ein einziges Mal, aber glaub mir, es war zum Abgewöhnen«, stoße ich hervor. »Noah ist null, null, null Konkurrenz für dich, Mattis, und das, was ich vor dir zurückgehalten habe, hatte überhaupt nichts mit ihm zu tun. Nur mit mir selbst. Mit … meinen …«
Ich halte inne, zögere. Soll ich es ihm jetzt sagen, hier im Nieselregen? Aber wie? Wird er es begreifen, wird er es sich auch nur im Geringsten vorstellen können? Ich rufe mir meinen neuen Mut in Erinnerung, sehe den rosa Schnee. Und da habe ich eine Idee.
»Ich möchte es dir zeigen, Mattis. Aber ich brauche meinen Computer dafür. Kommst du
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