Der Geschmack von Sommerregen (German Edition)
dass Noah mich in der Nacht von Freitag auf Samstag belästigt hat.
Ich schlucke, als der lädierte Sunnyboy durch die gespannte Menge auf uns zukommt. Als er vor uns stehen bleibt, ist es mucksmäuschenstill. Mattis schaut Noah in die Augen. Noah räuspert sich.
Heiser, aber so flüssig, als habe er seine Worte den ganzen Schulweg über geübt, sagt er zu mir: »Ich möchte mich bei dir entschuldigen, Sophie. War scheiße von mir, dass ich mich an dich ranmachen wollte, als es dir auf der Party so mies ging. Ich hätte dir helfen sollen, unversehrt nach Hause zu kommen, statt die Situation auszunutzen.«
Hä?
Noah, der empathiefreieste Mensch unter Bayerns Sonne, entschuldigt sich? Bei mir? Vor der gesamten Klasse?!
Völlig verdattert murmele ich ein »Ah. Okay. Ja dann, also … Akzeptiert«.
Noah wirft Mattis einen fragenden Blick zu. Der nickt knapp, woraufhin Noah sichtlich aufatmet. Doch bevor er es wagen kann, sich zu seinem Platz zu trollen, durchbricht Vivians fassungsloses Gekeife die Stille.
»Ey, was soll das denn jetzt, Noah? Die kleine Schlampe war völlig hacke, sie hat sich dir an den Hals geworfen! Die hätte alles mit dir gemacht hinterm Haus! Ist doch nicht deine Schuld, wenn sie –«
Mit schmalen Augen wirbelt Noah herum. »Halt einfach dein blödes Maul, Vivian, ja?«, fährt er sie quer durchs Klassenzimmer hindurch an. »Du und dein verficktes Video haben mir das hier eingebracht! Reicht dir das immer noch nicht?« Er deutet auf sein Veilchen und sieht dabei aus, als würde er Vivian am liebsten ebenfalls eins verpassen.
Was er natürlich nicht tut, nicht mal Noah schlägt Mädchen. Und nach der Lektion, die erst mein Knie und dann Mattis’ Faust ihm erteilt haben, wird er wohl auch keines mehr belästigen. Der Gedanke lässt mich unwillkürlich grinsen, und mein Lächeln wird noch breiter, als ich Vivians Gesichtsausdruck sehe: In rascher Folge zeichnen sich Unglauben, Zorn und schließlich die bittere Erkenntnis ab, dass sie nicht länger die Klassen-Queen ist.
Vivian, die Unbesiegbare, hat vor aller Augen verloren.
»Was für eine Show!«, höre ich Walli flüstern.
»Und das an einem Montagmorgen, noch vor dem Unterricht!«, wispert Klara begeistert zurück.
Wie aufs Stichwort schrillt die Schulglocke zur ersten Stunde, und hinter unserer Ex-Queen taucht Herr Müfflingen auf.
»Wenn ich dann mal bitten dürfte, junge Dame«, grummelt er, einmal mehr die schlechte Laune in Person. »Wir halten den Unterricht nicht im Stehen ab.«
Mattis wendet sich mir zu und lächelt. Jegliche Aggressivität ist aus seinen dunklen Augen verschwunden, und ich könnte unter seinem Blick und dem Wissen, was er für mich getan hat, dahinschmelzen … Doch stattdessen stemme ich, als er mich an sich ziehen will, meine Hände gegen seine Brust. Denn zum einen hat Herr Müfflingen bereits das Pult erreicht und wird uns jeden Moment auf unsere Plätze treiben, und zum anderen möchte ich Mattis nicht dazu ermutigen, von nun an jeden Konflikt mit den Fäusten zu lösen.
Also flüstere ich streng: »Ich hatte dir doch verboten, Mist zu bauen! Und dich mit Noah zu prügeln ist Mist, mein Lieber.«
»Du musst allerdings zugeben, dass der Mist ziemlich effektiv war.« Mattis’ Worten geht jegliche Reue ab, sein Lächeln ist Verführung pur.
Ein paar Sekunden lang sträube ich mich noch. Doch dann gebe ich auf. Ich muss es einfach tun, auch wenn Zeit und Ort denkbar ungünstig dafür sind: Mit einem Seufzer ziehe ich Mattis’ Kopf zu mir heran und küsse ihn. Küsse ihn, weil er mich verteidigt hat und unverbrüchlich zu mir hält.
Küsse ihn, weil er die wahre Sophie liebt, mich, wie ich wirklich bin.
Küsse ihn, weil er von der ersten Sekunde an mein Herz und meinen Körper angezogen hat wie ein Magnet.
Ich küsse und küsse und küsse ihn, nichts anderes zählt mehr. Nicht einmal, dass die ganze Klasse uns dabei zuschaut – und Herr Müfflingen uns wutentbrannt einen Eintrag ins Klassenbuch verpasst.
Eine Viertelstunde später wirbeln Emotionen und Gedankensplitter immer noch bunt schillernd durch mein Inneres. Ich sehe das flauschige Rot des Glücks, hänge verträumt dem süßen Kuss nach, frage mich, ob Noahs Wandlung wohl von Dauer sein wird, überlege, ob Vivian von ihrem Hochmut geheilt ist oder ob bei Menschen wie ihr Hopfen und Malz verloren sind, als sich die Tür des Klassenzimmers öffnet und ich abrupt daran erinnert werde, dass mir der größte Schmerz noch
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