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Der geschmuggelte Henry

Der geschmuggelte Henry

Titel: Der geschmuggelte Henry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Gallico
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Freude und Entzücken verklärte Gesicht einer kleinen aus London hierher verpflanzten Putzfrau beobachten würde, die eins der größten und schönsten Schauspiele in der Welt betrachtet, statt mit beiden Augen auf die verstopfte Straße zu achten und nur auf die Stimme seines Fahrzeugs zu hören.
    Mrs. Harris bat den Chauffeur, sie, weil das sicherer war, an der Ecke der Madison Avenue abzusetzen, und als sie sich voneinander verabschiedeten und sie sich bei ihm für die Fahrt und das Essen bedankte, hörte Mr. Bayswater zu seiner Überraschung sich sagen: «Wir werden uns wohl nicht Wiedersehen.» Und dann fügte er hinzu: «Viel Glück mit dem Jungen! Ich hoffe, Sie finden seinen Vater. Lassen Sie es uns wissen! Es wird den Marquis gewiß interessieren.»
    Mrs. Harris erwiderte vergnügt: «Wenn Sie je hier wieder vorbeikommen, dann rufen Sie mich an — Sacramento 99900—, wir könnten uns dann vielleicht zusammen einen Film in der Radio City Music Hall ansehen. Das ist mein Lieblingskino. Mrs. Butterfield und ich gehen jeden Donnerstag dorthin.»
    «Wenn Sie je nach Washington kommen, besuchen Sie uns», sagte Mr. Bayswater. «Der Marquis wird sich freuen, Sie zu sehen.»
    «Wird gemacht.» Sie und der kleine Henry standen an der Ecke und sahen ihn im Strom des Verkehrs verschwinden. In dem Rolls-Royce beobachtete Mr. Bayswater die beiden in seinem Rückspiegel, bis er schließlich fast mit einem Taxi zusammenstieß, und die Auseinandersetzung mit dem Fahrer, der ihn einen englischen Döskopf nannte, brachte ihn in die Welt der Wirklichkeit und der Rolls-Royce zurück.
    Mrs. Harris betrat einen Drugstore und rief Mrs. Butterfield an, um ihr zu sagen, daß sie angekommen seien, und zu fragen, ob die Luft rein sei.

16

    Den kleinen Henry Brown in den Gesindeflügel der Wohnung in der Park Avenue 650 einzuschmuggeln, machte keinerlei Schwierigkeiten. Mrs. Harris führte ihn einfach durch den Lieferanteneingang in der 67. Street, fuhr mit dem Lastenfahrstuhl hinauf und betrat die große Wohnung durch die Hintertür.
    Ihn heimlich dort zu behalten, wäre ebenso einfach gewesen, da er daran gewöhnt war, sich «unsichtbar» zu machen. Die Schreibers waren auch noch nie im Gesindeflügel gewesen und benutzten nie die Hintertür der Wohnung. In dem riesigen Kühlschrank waren außerdem immer so viele Lebensmittelvorräte, daß niemand merken konnte, wenn ein Kind etwas davon aß, und da er ein stiller kleiner Junge war, wäre er dort wohl auch für immer unentdeckt geblieben, wenn seine Anwesenheit nicht die unselige Wirkung auf Mrs. Butterfield gehabt hätte.
    Sie hatte sich jetzt an die Methoden der amerikanischen Supermärkte und die Lieferanten gewöhnt, fürchtete sich nicht mehr vor der gigantischen Stadt und freute sich über die Dollars, die sie sparte, und weil der kleine Henry so lange in Washington bleiben mußte, hatte sie sich in einer falschen Sicherheit gewiegt, aber nun, da er hier war, war es damit aus. All ihre Ängste, Sorgen und Prophezeiungen einer Katastrophe kehrten zurück — nur noch stärker—, denn jetzt schien keine Lösung, kein glückliches Ende mehr möglich, und man saß endgültig in einer Sackgasse. Da Mrs. Harris aus Kenosha die betrübliche Nachricht mitgebracht hatte, daß jener George Brown nicht der Vater des Jungen war, und ihre weiteren Versuche, ihn ausfindig zu machen, sich als ebenso vergeblich erwiesen hatten, war es für Mrs. Butterfield klar, daß nur noch die Hinrichtung oder lebenslängliches Schmachten in einem Kerker sie erwartete.
    Sie hatten einen kleinen Jungen am hellichten Tage in den Straßen von London geraubt, hatten ihn auf einem Ozeandampfer versteckt, ohne für ihn die Überfahrt zu bezahlen, hatten ihn in die Vereinigten Staaten von Amerika eingeschmuggelt — ein Kapitalverbrechen offensichtlich, wenn man an all die Vorsichtsmaßregeln dachte, die das verhindern sollten—, und jetzt setzten sie allen früheren Verbrechen noch die Krone auf, indem sie ihn in der Wohnung ihrer Arbeitgeber verbargen. All dies konnte nur mit einer entsetzlichen Katastrophe enden.
    Und zu allem Unglück begann sich ihre Nervosität auf ihr Kochen auszuwirken.
    Salz und Zucker wurden oft verwechselt, Sirup und Essig mischten sich geheimnisvoll miteinander; Soufflés fielen entweder zusammen oder blähten sich auf; Soßen gerannen, und der Braten verbrannte. Ihr feines Zeitgefühl verließ sie vollkommen, so daß sie nicht mehr ein Vier-Minuten-Ei kochen konnte, sondern nur

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