Der geschmuggelte Henry
ein rohes oder steinhartes zustande brachte. Ihr Kaffee wurde wäßrig, ihr Toast wurde schwarz — ja, sie konnte nicht einmal mehr eine Tasse anständigen englischen Tee machen.
Die Abendessen, die sie für Mr. Schreibers berühmte Gäste bereiten mußte, spotteten jeder Beschreibung. Und Leute, die früher darauf gebrannt hatten, zu einer der Gesellschaften der Schreibers eingeladen zu werden, erfanden jetzt alle Arten von Entschuldigungen, um dem scheußlichen Fraß zu entgehen, der aus Mrs. Butterfields Küche kam.
Es war keine Genugtuung für Mrs. Schreiber, noch für Mrs. Harris, noch für Mrs. Butterfield, daß der einzige, der jetzt zufrieden schien, Kentucky Claiborne war. Wenn ein besonders verbrannter Braten mit einer mehr als versalzenen und zu dicken Soße auf dem Tisch erschien, dann haute er mit fliegenden Ellbogen ein und brüllte: «Oh, Henrietta, das ist schon besser. Sie haben wohl diese alte Flasche, die Sie in der Küche hatten, rausgeschmissen und dafür eine hundertprozentige amerikanische Köchin angestellt? Ich würde gern noch etwas von dieser prächtigen Soße essen.»
Natürlich geschah dies alles nicht auf einmal. Es ging allmählich vor sich, aber dann steigerte sich plötzlich das Tempo, als Mrs. Butterfield selber ihrer Unterlassungssünden und Vergehen gewahr wurde und darüber völlig die Fassung verlor. Natürlich verschlimmerten sich von da an die Dinge rasch, bis schließlich Mr. Schreiber sich bewogen fühlte, seine Frau zu fragen: «Sag mal, Henrietta, was ist in die beiden gefahren, die du aus London mitgebracht hast? Seit Wochen haben wir nichts Anständiges mehr auf dem Tisch gehabt. Wie kann ich da noch jemanden zum Essen einladen?»
«Aber zuerst ging doch alles so gut», erwiderte Mrs. Schreiber, «und sie schien eine so großartige Köchin zu sein.»
«Nun, jetzt ist sie es nicht mehr», sagte Mr. Schreiber. «Und wenn ich du wäre, würde ich sie hinauswerfen, bevor sie jemanden vergiftet.»
Mrs. Schreiber nahm Mrs. Harris ins Gebet, und zum erstenmal war die kleine Putzfrau, der sie ehrlich zugetan war, ein bißchen störrisch. Als Mrs. Schreiber Mrs. Harris fragte: «Sagen Sie, fehlt Mrs. Butterfield etwas?» blickte diese sie nur seltsam an und antwortete: «Wem? Violet? Violet geht’s sehr gut.»
Mrs. Harris war in einem entsetzlichen Dilemma: Sie wurde hin und her gerissen zwischen der Zuneigung und Treue zu ihrer freundlichen Arbeitgeberin und der Liebe und noch größeren Treue zu ihrer alten Freundin, von der sie wußte, daß sie jetzt alles verkehrt machte und warum. Was sollte sie tun, außer dem, was sie schon getan hatte, nämlich Mrs. Butterfield anzuflehen, sich zusammenzureißen? Aber darauf hatte Mrs. Butterfield sie nur mit einer Flut von Vorwürfen überschüttet: Allein durch ihre Schuld säßen sie in der Patsche und die Vergeltung werde nicht auf sich warten lassen. Sie hatte selber wohl gemerkt, daß Mrs. Butterfields Kochkunst bedenklich nachgelassen hatte und daß man bei Tisch höchst unzufrieden war. Und sie wußte jetzt, daß ihnen eine neue Gefahr drohte, daß nämlich Mr. Schreiber sie beide nach London zurückschicken würde. Wenn dies geschah, bevor sie den Vater des kleinen Henry gefunden hatte, dann saßen sie wirklich in der Falle, denn Mrs. Harris machte sich keine Illusionen darüber, daß sie den Jungen ebenso zurückschmuggeln könnte, wie sie ihn hergebracht hatte. Solch ein Husarenstück glückte einmal, aber nicht zweimal.
Mrs. Harris wußte auch, daß es ein Fehler von ihr gewesen war, Mrs. Schreiber nicht sofort ins Vertrauen zu ziehen, und das regte sie so auf, daß sie jetzt erst recht etwas Verkehrtes tat. Nicht genug damit, daß sie Mrs. Schreiber eine knappe, unbefriedigende Antwort gab, machte sie sich auch noch zu einem Spaziergang in die Park Avenue auf, um darüber nachzudenken, wie sie es verhindern könnte, daß sich die Lage noch verschlimmerte.
So kam es, daß sie nicht anwesend war, als Mrs. Schreiber zum erstenmal in das Labyrinth ihres Gesindeflügels eindrang, um sich mit Mrs. Butterfield auszusprechen und, wenn möglich, die psychologischen Gründe für ihr merkwürdiges Verhalten herauszubekommen. Und da entdeckte sie den kleinen Henry im Wohnzimmer der Dienstboten, der dort stillvergnügt seine Fünf-Uhr-Vesper verzehrte. Ihre leise Überraschung verwandelte sich in einen richtigen Schock, als Mrs. Schreiber plötzlich sah, daß der Junge jener war, dessen Bilder sie in den Zeitungen gesehen hatte,
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