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Der geschmuggelte Henry

Der geschmuggelte Henry

Titel: Der geschmuggelte Henry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Gallico
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Einberufung, wo er im Ausland und zu Hause stationiert gewesen sei und so weiter mitzuteilen.
    Mr. Schreiber sah sich das amtliche Schreiben an und höhnte: «Ach, die Kerle würden nicht einmal jemanden finden, den sie direkt vor der Nase hätten. Nun, lassen Sie mich das nur machen. Meine Firma hat Filialen in allen Großstädten der USA. Wenn wir ihn nicht finden können, kann es niemand. Wie war sein Name? Wissen Sie sonst noch etwas von ihm — wo er stationiert war, vielleicht, oder wie alt er war, als er heiratete, oder irgend etwas anderes, das uns helfen würde?»
    Mrs. Harris mußte beschämt zugeben, daß sie nichts weiter von ihm wußte, als daß er George Brown hieß, im Jahre 1950 eine Zeitlang auf einem amerikanischen Flugstützpunkt in England stationiert gewesen war und eine Kellnerin namens Pansy Cott geheiratet hatte, die ihm den kleinen Henry gebar, sich aber weigerte, ihn nach Amerika zu begleiten. Sie war dann von ihm geschieden worden, hatte sich wieder verheiratet, und seitdem war sie spurlos verschwunden.
    Als Mrs. Harris diese armseligen Details aufzählte, wurde ihr noch mehr bewußt, wie töricht sie sich von ihrem Enthusiasmus hatte hinreißen lassen und die Sache gehandhabt hatte. «Ach», sagte sie, «ich bin doch eine Närrin gewesen. Ich muß mich wirklich schämen. Wenn ich Sie wäre, würde ich uns alle zum Teufel jagen.»
    «Ich finde, was Sie getan haben, ist ganz wundervoll, Mrs. Harris», protestierte Mrs. Schreiber. «Meinst du nicht auch, Joel? Kein anderer hätte das fertiggebracht.»
    Mr. Schreiber nickte nur leicht, was bedeutete, daß er ein wenig daran zweifelte, aber seiner Frau nicht widersprechen wollte, und dann sagte er: «Das ist ein bißchen mager, um damit weiterzukommen. Aber wenn jemand diesen Burschen finden kann, dann nur unsere Firma», und zu dem kleinen Henry sagte er: «O.K., mein Junge. Morgen ist Sonntag. Da werden wir mit einem Schläger, einem Ball und einem Handschuh in den Central Park gehen und sehen, ob du mich schlagen kannst. Ich war als Kind ein recht guter Baseballspieler.»

17

    Kurz vor einem der geschäftlichen Abendessen bei Schreibers machte sich Kentucky Claiborne endgültig bei Mrs. Harris verhaßt. Sie war ihm schon seit langem gram, aber jetzt gab es an ihrer Feindschaft nichts mehr zu rütteln.
    Wie gewöhnlich war er ungewaschen und ungekämmt in seinen Blue Jeans, den Cowboystiefeln und der speckigen Lederjacke erschienen, aber diesmal schon eine Stunde vor der festgesetzten Zeit, und das aus zwei Gründen: einmal weil er sich gern volltankte, ehe die Schnäpse gereicht wurden, wobei er immer nur einen auf einmal bekam, und zum anderen, weil er seine Gitarre nach Schreibers Flügel stimmen wollte, denn Mr. Schreiber hatte einige bedeutende Vertreter und Leiter von Fernsehstudios eingeladen und Kentucky dazu überredet, nach dem Abendessen zu singen.
    Kentuckys Lieblingsgetränk war Whisky. Nachdem er vier Becher davon fast unverdünnt getrunken hatte, stimmte er sein Instrument, schlug ein halbes Dutzend Akkorde an und begann eine Ballade von Liebe und Tod zu singen, bei der es um die verfeindeten Hatfields und McCoys, ging. Während er sang, spürte er plötzlich, daß ihn ein kleiner Junge, der einen etwas zu großen Kopf hatte, mit großen interessierten Augen anblickte. Kentucky unterbrach sich inmitten eines Gemetzels, bei dem die McCoys eine ganze Schar der Hatfields umbrachten, und sagte: «Hau ab, Junge.»
    Der kleine Henry, der mehr überrascht als gekränkt war, erwiderte: «Weshalb? Kann ich nicht hierbleiben und zuhören?»
    «Weil ich gesagt habe: hau ab, Junge. Darum!» und dann fügte er, als ob sein Ohr ihn plötzlich an etwas erinnerte, hinzu: «Sag mal, sprichst du Englisch? Bist du Engländer?»
    Der kleine Henry, der stolz darauf war, blickte Kentucky Claiborne an und erwiderte: «Ja, das bin ich — und was geht Sie das an?»
    «Was mich das angeht?» sagte Kentucky Claiborne mit bedrohlicher Liebenswürdigkeit. «Wenn’s etwas gibt, das ich noch mehr hasse als die Niggersprache, dann ist es die Sprache der Engländer, und wenn’s etwas gibt, das ich noch mehr hasse als Nigger, dann sind es die Engländer. Ich habe dir gesagt, du sollst abhauen.» Und darauf beugte er sich vor und versetzte Henry eine saftige Ohrfeige, wobei dem Jungen Hören und Sehen verging. Und wie einst bei den Gussets begann er zu schreien, und um das Geschrei zu übertönen, stimmte Kentucky instinktiv die nächste Stanze an, in der

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