Der gestohlene Traum
wünschte sich das schon so lange. Wie gut, dass es ihn auf der Welt gab.
»Schmeckt es dir?«, fragte Tschistjakow mit einem lächelnden Blick auf seine Freundin, die einen beneidenswerten Appetit an den Tag legte.
»Köstlich«, sagte sie mit vollem Mund. »Ljoscha, bist du mir auch nicht böse, dass ich dich mitten in der Woche von zu Hause weggeholt habe?«
»Ich habe es so verstanden, dass du Unannehmlichkeiten hast«, sagte er vorsichtig. »Wenn ich mich nicht täusche, hast du das Schloss an der Wohnungstür ausgewechselt.«
»Nun ja, ich bin jemandem auf die Füße getreten, und man versucht, mich einzuschüchtern. Ich möchte nachts nicht allein in der Wohnung sein, zumindest die nächsten Tage. Ich wollte dich bitten . . .« Sie begann herumzudrucksen.
»Bitte mich, geniere dich nicht«, ermunterte sie Ljoscha.
»Könntest du dich nicht für ein paar Tage beurlauben lassen und bei mir wohnen? Es ist sehr wichtig für mich, wirklich.«
»Natürlich kann ich das. Für dich bin ich Ljoscha, aber an meinem Institut bin ich Professor Tschistjakow. Mir stehen freie Tage für Bibliotheksarbeit zu, das habe ich dir schon hundert Mal gesagt.«
»Wie viele Tage sind das? Einer, zwei in der Woche?«
»Mein Schatz, bei mir sind alle Tage Bibliothekstage, bis auf einen, an dem ich anwesend sein muss. Gib mir also Instruktionen, und ich werde sie mit mathematischer Genauigkeit erfüllen.«
»Ich habe nur eine einzige Instruktion. Du nimmst das Telefon ab, wenn es läutet. Und du rufst mich auf keinen Fall an den Apparat. Du sagst, dass ich im Bad bin, auf der Toilette, bei den Nachbarn oder sonst wo, aber du gibst den Hörer auf keinen Fall an mich weiter. Du fragst nur, wer dran ist und unter welcher Nummer ich zurückrufen soll. Sonst nichts.«
»Wäre es nicht einfacher, zu sagen, dass du nicht zu Hause bist?«
»Das geht nicht. Wenn sich jemand für mich interessiert, dann wird er wissen, dass ich zu Hause bin. Es darf nicht der geringste Verdacht entstehen, dass ich mich verstecke oder ausweiche. Ich wiederhole noch einmal, Ljoscha, du darfst nicht fragen, ob du mir etwas ausrichten sollst. Lass dir nur die Telefonnummer geben.«
»Ich habe verstanden. Wird dein Telefon etwa abgehört?«
»Es scheint so.«
»Tja, was soll man dazu sagen. Offenbar sieht es gar nicht gut aus für dich. Wie bist du denn in diese Bredouille geraten?«
»Das weiß ich selbst nicht. Und ich fürchte, alles wird noch schlimmer werden.«
* * *
Wassja Kolobow ließ das Schiebefenster am Kiosk herunter, schob den Riegel vor und hinterließ eine mit Filzstift geschriebene Nachricht hinter der Scheibe. 23 bis 24 Uhr Pause. Der Ort, an den er für halb zwölf Uhr bestellt war, war mit dem Bus in etwa zehn Minuten zu erreichen, aber nachts fuhren die öffentlichen Verkehrsmittel selten, und Kolobow wollte sich nicht verspäten, um die nicht zu verärgern, die ihn schon einmal so böse zugerichtet hatten. In so einer Situation war es besser, etwas früher dran zu sein und zu warten.
Er schloss den Kiosk ab und machte sich auf den Weg zur Bushaltestelle, aber plötzlich hörte er eine leise Stimme hinter sich.
»Sehr gut, Wassja, das nennt man Disziplin. Dreh dich nicht um. Geh geradeaus weiter, zur Unterführung.«
Wassja begann der Nacken zu brennen, in den Achselhöhlen sammelte sich der Schweiß. Etwas Hartes bohrte sich ihm in den Rücken, genau zwischen die Schulterblätter. Er ging gehorsam zur Unterführung, stieg die Stufen hinab und durchquerte den unterirdischen Übergang zur anderen Straßenseite. Die Unterführung war, wie immer, unbeleuchtet. Kolobow hörte keine Schritte hinter sich, nur das Geräusch eines gleichmäßigen Atems, und im Rücken spürte er ständig dieses Etwas, das ihm den Gedanken an einen Pistolenlauf aufdrängte.
Als er wieder auf der Straße war, vernahm er das nächste Kommando.
»Nach links, um die Ecke. Langsam. Und nicht umdrehen. Jetzt unter den Torbogen.«
Er sah, wie ihm zwei sehr mächtig wirkende Gestalten entgegenkamen. Die Gesichter waren in der rabenschwarzen Dunkelheit nicht zu erkennen, kein Einziges der Fenster, die auf den Hof hinausgingen, war beleuchtet. Die Gestalten standen jetzt dicht vor ihm.
»Nun, Wassja, wollen wir uns ein wenig unterhalten?«
»Ich habe nichts getan«, sagte Kolobow flehentlich. »Ich habe niemandem etwas gesagt. Was wollt ihr von mir? Warum glaubt ihr mir nicht?«
»Warum sollten wir dir glauben? Du hast uns bereits einmal angelogen«, sagte
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