Der Gipfel - Tragoedie am Mount Everest
Temperaturen, inmitten Hunderter leerer, von früheren Expeditionen zurückgelassener Sauerstoffflaschen hatten die Mountain-Madness-Sherpas bereits ein Zelt aufgebaut und kämpften nun mit dem zweiten. Die Ecken mit den behandschuhten Händen festhaltend, drückten sie das flatternde und knatternde Gebilde zu Boden und versuchten, es am Berg zu verankern. Für Boukreev kein ermutigender Anblick.
Zu den härtesten Kraftproben einer Everest-Besteigung gehört für mich der Wind, der einen fast vom Berg weht. In extremer Höhe ist er mein größter Widersacher. Hätte ich die Wahl, würde ich jederzeit ungünstiges, aber ruhiges Wetter einem Tag vorziehen, an dem der Wind so heftig bläst wie damals am Südsattel.
Boukreev, der befürchtete, das Zelt würde ihnen davonfliegen, nahm seinen Rucksack ab, ergriff ein lose flatterndes Ende und versuchte, es auf den Boden zu pressen. Schon mehrmals hatte er das Scheitern einer Expedition miterlebt, weil ein Höhenzelt verlorenging und man in ein tieferes Lager absteigen mußte. Darauf konnte er verzichten. Während Boukreev das Zelt niederdrückte, zogen die Sherpas mühsam die Stangen ein. Unterdessen war Klev Schoening nachgekommen und bot seine Hilfe an. Boukreev bat ihn, ins Zelt zu kriechen und es am Boden zu halten, während er es mit den Sherpas endgültig sicherte.
Ich hatte das Gefühl, für Klev wäre es günstiger, sich auszuruhen und auf den letzten Anstieg vorzubereiten. Ich fürchtete, die Kraft, die ihm der Sauerstoff verliehen hatte, könnte ihn täuschen und zu der irrigen Meinung verleiten, seine Energie sei unbegrenzt.
Ursprünglich war geplant gewesen, drei Zelte für Kunden und Führer zu errichten. Da aber der Sturm anstatt nachzulassen an Stärke zunahm, hielt Boukreev es für klüger, sich mit zwei Zelten zu begnügen. Mehr Personen in weniger Zelten entwickelten mehr Körperwärme gegen die nächtliche Kälte. Und falls es tatsächlich zur Katastrophe käme und sie ein Zelt verloren, blieb ihnen immer noch eines.
Leicht gebeugt mit dem Rücken zum Wind stehend, der ihn umzuwehen drohte, beratschlagte sich Boukreev erst mit einem Sherpa, dann mit dem nächsten, indem er ihnen in die Ohren brüllte, um sich Gehör zu verschaffen. Man entschied sich, das dritte Zelt nicht auszupacken. Während sie unermüdlich weiterarbeiteten, um die Zelte vor der Gewalt des Sturmes zu sichern, sah Boukreev Lene Gammelgaard und Martin Adams ankommen. Beide wirkten müde, klagten aber nicht und ließen sich von ihm mit Schoening in ein Zelt einweisen. Als Beidleman eintraf und ins andere Zelt kroch, hatte Boukreev den Eindruck, daß er »die Höhe spürte«, deshalb hielt er Beidlemans Entscheidung, mit Sauerstoff zu klettern, für »richtig«.
In dem Maß, wie der Wind den Nachmittag über an Stärke zunahm, stiegen Boukreevs Befürchtungen. Die »Wetterunbekannte« in der Everest-Gleichung bedrohte den Gipfelvorstoß, und einige der Mountain-Madness-Faktoren paßten ohnehin nicht in die Rechnung. Es war siebzehn Uhr, und Fischer und Sandy Pittman waren noch immer nicht in Lager IV.
Während ich mir über die weitere Vorgehensweise den Kopf zerbrach, entschloß ich mich, mit Rob Hall zu reden, der die Arbeiten an seinem Lager überwachte. Als ich ihn bei einem seiner Zelte anredete, mußten wir uns brüllend verständigen. »Was sollen wir tun? Das ist kein Wetter für den Gipfel.« Darauf Rob Hall: »Ich habe die Erfahrung gemacht, daß es sich nach einem Sturm oft beruhigt. Wenn es in der Nacht aufklart, gehen wir morgen los. Hat sich bis Mitternacht nichts geändert, wird meine Gruppe weitere vierundzwanzig Stunden warten. Und wenn es sich am zweiten Tag nicht bessert, steigen wir ab.« Aus einem unerklärlichen Grund konnte ich Rob Halls Optimismus nicht teilen. Ich hielt eine Wetterberuhigung für sehr unwahrscheinlich. Meine innere Stimme ließ mir keine Ruhe und sagte mir, daß wir am nächsten Tag nicht aufsteigen würden.
Nach dem Gespräch mit Hall wollte Boukreev aus Sorge um Fischer wieder zum Lager III absteigen, als er ihn in vierzig Metern Entfernung von den Zelten im einsetzenden Schneegestöber auf sich zukommen sah, gefolgt von ein paar anderen, unter ihnen Sandy Hill Pittman.
Scott, der schreien mußte, um sich verständlich zu machen, fragte mich, wie wir die Leute in den Zelten verteilen sollten. Ich erklärte ihm, daß wir anstatt drei nur zwei Zelte aufgebaut hatten. Als er vorschlug, auch noch das dritte
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