Der Gipfel - Tragoedie am Mount Everest
Burleson war still, aber Pete Athans sprach mit mir und sagte: »Scott war – nun, er konnte atmen, aber er konnte keinen Tee trinken. Als man ihm Tee einflößte, konnte er nicht schlucken.« Und Pete Athans sagte: »Unmöglich. In dieser Situation unmöglich für ihn.« Ich sagte: »Aber vielleicht, wenn er atmet, wenn er noch Atem hat, dann könnte ihm Sauerstoff helfen, und ich werde hinaufgehen.«
Ich ging wieder ins Zelt zu Lopsangs Vater und fragte ihn: »Hast du ein wenig mehr Information? Hast du ihm keine Medizin gegeben? Wann hast du ihm Sauerstoff gegeben?« Er sagte: »Wir gaben ihm eine Flasche Sauerstoff, legten Maske an und machten Flasche auf.«
Ich sagte »okay« und nahm mir Funkgerät von den Sherpas, sprach mit dem Basislager und mit Ingrid und fragte sie: »Was würdest du in dieser Situation raten?« Und sie ist ganz aufgeregt und sagt: »Anatoli, versuch zu helfen, was möglich ist. Bitte, versuche eine Möglichkeit zu finden.« Ich sagte: »Okay, ich werde alles versuchen, aber was rätst du?« Sie sagte: »Hast du das Päckchen mit den Injektionen?« Und ich sagte: »Ja, die habe ich.« Sie sagte, ich solle es bei Scott versuchen, und ich versprach es. 36
Dann gehe ich ins Sherpa-Zelt und sehe, daß Lopsang Sauerstoff nimmt und einige andere auch. Und ich sage: »Okay, ich brauche Sauerstoff. Drei Flaschen und eine Thermoskanne Tee. Könnt ihr mir das machen?« Sie fragen: »Wozu brauchst du das?« Ich sagte: »Ich gehe hinauf.« Sie sagen: »Dumme Idee.« Ich gehe aus dem Zelt, und Lopsangs Vater kam und sprach mit Pete Athans auf nepalesisch. Pete Athans kam zu mir und sagte: »Anatoli, was hast du vor?« Ich sagte: »Ich steige hinauf. Ich brauche Sauerstoff. Ich brauche Tee.« Pete Athans versuchte es mir auszureden. Er sagte: »Der Sturm hat sich ein wenig gelegt, aber wenn du jetzt hinaufgehst, gerätst du wieder hinein.« Ich sagte: »Ich muß es tun.«
Ich wußte es aus Erfahrung. Ich erklärte ihm meine Meinung. Bei Scott war es ein langsamer Prozeß. Scott konnte überleben, wenn er Sauerstoff bekam. Scott liegt knapp vor dem Balkon, und er hat bis vielleicht neunzehn Uhr genug Sauerstoff. Ich brauche Sauerstoff. Pete ist wie die Sherpas, und ich merkte, daß er es für eine dumme Idee hält, aber die Flaschen bekomme ich. Ich wollte drei, bekomme aber nur zwei. Ich denke mir, daß sie von David Breashears Expedition kommen, aber ich weiß es nicht genau. Ich beeilte mich. Ich treffe Vorbereitungen, und nun wird der Wind wieder stärker. Es ist vier Uhr nachmittags oder viertel nach.
Ich nahm meinen Rucksack und ging, sah Pete Athans vor dem Zelt und fragte ihn: »Gehst du mit?« Er sagte nur: »Nein.« Und ich sagte: »Wie viele werden helfen?« Und er – er wird nur traurig und weint ein bißchen. Er glaubt, es gäbe keine Chance mehr.
Ich gehe los und sehe hundertfünfzig Meter vor mir einen kleinen Punkt, der sich bewegt, jemand, der auf mich zukommt, und ich wundere mich sehr. Es war wie ein Phantom, wie ein Wunder, und ich ging schneller. In kurzer Zeit stand ich vor dem Mann, der seine Hände ohne Handschuhe vor sich ausgestreckt hielt wie ein Soldat, der sich ergibt. Ich wußte nicht, wer das war, aber jetzt weiß ich, daß es Beck Weathers war. 37
Ich sagte: »Wer bist du?« Er sagte nichts, und ich fragte: »Hast du Scott gesehen?« Und jetzt sagte er: »Ich habe niemanden gesehen. Niemanden. Es ist mein letztes Mal in den Bergen. Ich werde nie wieder in diese Berge zurückkehren. Niemals, niemals…« Er redete wie ein Irrer.
Aber ich denke, mein Kopf zerspringt. »Anatoli, du mußt klar denken können, wenn du aufsteigst.« Und ich rufe zurück zum Lager: »Burleson! Pete! Bitte, helft mir!« Und ich fragte sie: »Könnt ihr diesem Mann helfen? Ich gehe hinauf. Ich will die Zeit einhalten.« Und sie sagen: »Keine Angst, wir kümmern uns um ihn.«
Alle sagten, es sei dumm, nach Scott zu suchen, aber ich sah, daß dieser Mann überlebt hatte, und das gab mir Auftrieb. Und ich setzte die Maske auf und ging mit Sauerstoff, ohne Pause, und kam gut voran. Aber es dunkelte, die Nacht fiel ein. Dazu kam ein starker Wind und Schneesturm, und es wurde schwierig für mich.
Um sieben Uhr abends, vielleicht fünf Minuten später, fand ich Scott. Dunkel, starker Sturm, und ich sah ihn durch den Schnee, wie ein Traumbild. Ich sah den Zipp seines Daunenanzugs offen, eine Hand ohne Fäustling, erfroren. Ich öffnete seine Gesichtsmaske, und um die Maske herum ist das
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