Der Gipfel - Tragoedie am Mount Everest
Gesicht erfroren, aber eine andere Temperatur, und unter der Maske ist er blau, wie von einem großen Bluterguß. Das Gesicht ist ohne Leben. Ich sah keine Atmung, nur verkrampfte Kiefer. Ich verlor die letzte Hoffnung. Ich kann nichts tun. Ich kann nichts tun. Ich kann nicht bei ihm bleiben.
Um sieben kommt wieder Sturm auf. Sauerstoff – ich verliere meine letzte Hoffnung, weil ich beim Aufbruch dachte, Sauerstoff würde sein Leben retten. Wenn jetzt aber kein Sauerstoff hilft, keine Lebenszeichen da sind, kein Puls, keine Atmung…
Der Sturm wird sehr stark, und ich habe keine Kraft mehr. Was soll ich jetzt tun? Ich wußte nur das: Wenn ich ihn wie Beck Weathers gefunden hätte, wäre es möglich gewesen, ihm zu helfen. Ich hätte ihn wiederbelebt. So wie Beck Weathers wiederbelebt wurde. Er hätte Hilfe gebraucht, und wenn er sie bekommen hätte, Sauerstoff vielleicht, alles wäre möglich gewesen. Man hätte Scott helfen können. Ich sehe jetzt, daß es nicht mehr geht. Für ihn gibt es keine Chance. Was soll ich jetzt tun? Ich sah seinen Rucksack und band ihn vor sein Gesicht, um die Vögel abzuhalten. Vier, fünf Sauerstoffflaschen lagen herum, mit denen ich seinen Körper bedeckte. Und um viertel nach sieben beginne ich rasch den Abstieg. Ich merke, daß ich Kraft und Gefühl verloren habe. Ich kann nicht sagen, wie es war. Ich war sehr traurig.
Ein Sturm kam auf, sehr stark, und mit ihm Neuschnee. Ich steige an den Seilen ab, und als ich bei 8200 Meter ankomme, ist die Sicht ganz weg. Es wurde dunkel, vielleicht zwanzig vor acht, unmöglich zu sehen. Ich habe meine Stirnlampe. Ich nehme ein wenig Sauerstoff. Dann hörte ich auf, weil es meiner Sicht nicht hilft, die zwei, drei Meter reicht. Man kann nichts sehen. Und wieder finde ich die Kangshung-Flanke, dieselbe Stelle, denke ich, unweit Yasuko Namba. Ich kann nur zwei Meter sehen, aber ich weiß Bescheid. Dann ändere ich die Richtung, der Schnee am Boden hört auf und ich sehe Sauerstoffflaschen. Ich gehe ein wenig zurück und bergauf und sehe ein paar Zelte.
Ich weiß, daß es nicht unsere sind, aber die nächsten werden von uns sein. Als ich diese Stelle finde, höre ich Stimmen. Ich gehe ohne Sicht, nur nach dem Geräusch. Ich komme zu einem Zelt, öffne es und sehe diesen Mann ganz allein. Es ist Beck Weathers und ich verstehe nicht, warum er allein ist. Aber ich habe keine Kraft mehr, gehe zu meinem Zelt, weil ich nicht helfen kann. Ich nehme irgendeinen Schlafsack. Ich krieche ins Zelt und schlafe.
Bei seiner Rückkehr ins Lager geriet Boukreev in einen Sturm von gleicher Heftigkeit wie in der Nacht davor. Im Alleingang und ohne Lichter von Lager IV als Wegweiser hatte er sich auf seine Intuition und sein Erinnerungsvermögen verlassen und die Richtung eingeschlagen, die ihm richtig erschien. Als er auf ein paar weggeworfene Sauerstoffflaschen stieß, konnte er sich orientieren und das Lager endgültig orten.
Als Boukreev sich durch die Zelte im Lager tastete, hörte er Schreie aus einem Zelt. Er schaute hinein und sah Beck Weathers, der sich vor Schmerzen krümmte. Niemand kümmerte sich um ihn. Erschöpft, nur knapp dem Sturm entronnen, mußte Boukreev Weathers alleinlassen, um sein eigenes Zelt aufzusuchen, wo er entkräftet zusammenbrach.
21. Kapitel Mountain-Media-Madness
Da mit dem Morgen des 12. Mai die letzte Hoffnung zunichte wurde, Rob Hall, Doug Hansen und Andy Harris zu retten, begannen die Überlebenden der Adventure-Consultants-Expedition ihren Abstieg zum Basislager. Beck Weathers und Makalu Gau wurden mit Hilfe Todd Burlesons, Pete Athans, Ed Viesturs, David Breashears und Mitgliedern anderer Expeditionen ins Lager I gebracht, wo ein Hubschrauber landen und sie nach Kathmandu ausfliegen konnte.
Während die Mitglieder des Hall-Teams abstiegen, trafen Beidleman und die Mountain-Madness-Gruppe bereits im Basislager ein, wo sie sich ausruhen und für den Treck nach Syanboche vorbereiten wollten. Von dort aus sollten sie dann per Hubschrauber nach Kathmandu fliegen. Boukreev, der von der Expeditionsausrüstung mitgenommen hatte, was er tragen konnte, war mit schwerem Gepäck abgestiegen und erst am Abend des 13. Mai angekommen.
Frühmorgens am 16. Mai meldete Neal Beidleman an Outside Online : »Das Team wird heute nach Pheriche aufbrechen. Wir alle lecken unsere Wunden, deshalb müssen wir runter vom Berg.« Der Everest lag hinter ihnen.
Gegen Mittag des 16. Mai begannen Beidleman und seine Gruppe ihren Treck, und
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