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Der Gipfel - Tragoedie am Mount Everest

Der Gipfel - Tragoedie am Mount Everest

Titel: Der Gipfel - Tragoedie am Mount Everest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anatoli Boukreev , G. Weston Dewalt
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verschlief ich, geplagt von unangenehmen Träumen. Ich stieg, dem Ende meiner Kräfte nahe, zum Gipfel auf. Ich sollte verirrte Kletterer suchen, konnte sie aber nicht erreichen. Die Träume hatten, obwohl sie sich immer um andere Geschichten rankten, ein einziges Thema: in Bedrängnis geratene Bergsteiger knapp außer meiner Reichweite.
     
    In Santa Fe, Neumexiko, wohin er auf Einladung eines Freundes flog und wo er sich bis zu seiner Rückkehr in den Himalaja im Herbst ausruhen sollte, verschlief Boukreev den Großteil der ersten Tage. Manchmal schlief er zwanzig Stunden hintereinander – und die Träume kamen immer wieder.
    Die Träume suchten mich auch in Santa Fe heim und störten meinen Schlaf. Beim Frühstück war ich dann so erschöpft, daß ich wieder ins Bett ging, und alles fing von neuem an. Immer war ich auf der Suche und wollte Leute finden. Dann klingelte das Telefon, und ich wachte auf. Obwohl ich ganz zurückgezogen lebte, hatte die Presse es geschafft, mich in den Vereinigten Staaten aufzustöbern.
    Der erste Journalist, der Boukreev ausfindig machte, war Peter Wilkinson, ein Mitarbeiter von Men’s Journal , der am 4. Juni anrief, als Boukreev gerade beim Frühstück saß. Wilkinson erklärte Boukreev, daß er ein Telefon-Interview machen wolle und bombardierte ihn mit gezielten Fragen. Boukreev, von den in rascher Folge auf ihn abgefeuerten Fragen verwirrt, hatte Schwierigkeiten, sie in seinem mangelhaften Englisch zu beantworten. Die Hand über der Sprechmuschel bat er seine Freunde um Rat. »Was soll ich machen? Ich kenne diesen Menschen nicht, ich weiß nicht, was er will.«
    Obwohl er mit den Fragen zu kämpfen hatte, setzte Boukreev zunächst das Interview fort, um Wilkinson gefällig zu sein, gab dann aber frustriert auf. Sein Englisch reichte nicht aus, um Wilkinsons überaus komplexen Fragen begegnen zu können.
     
    Ich wollte diese Dingen nicht verschweigen, weil ich wußte, daß der Journalist nur seine Arbeit tat und bemüht war, die Story von meinem professionellen Blickwinkel aus zu sehen. Aber ich wollte genau verstanden werden.
     
    Boukreev vereinbarte, daß das Interview mit Hilfe eines russischen Dolmetschers fortgesetzt werden sollte, der ihm Wilkinsons Fragen übersetzte. Wilkinson, dem sehr an dem Interview lag, meldete sich gleich am nächsten Tag wieder, und Boukreev versuchte es von neuem, während ein russischer Dolmetscher mithörte. Er hatte so heftig zu kämpfen wie am Tag zuvor, diesmal aber in seiner Muttersprache, bis er schließlich wieder verzweifelt auflegte. »Die haben von den Bergen keine Ahnung. Und mein Englisch ist besser als das Russisch des Dolmetschers.«
    Als Boukreev die Transkription des Interviewtextes las, die ihm Wilkinson gefaxt hatte, hob er resigniert die Hände. »Das ist unmöglich! Das ist nicht gut! Nicht gut!« Seine Antworten waren in der Übersetzung völlig sinnwidrig wiedergegeben worden. Wilkinson bekam Bescheid, das Interview sei unbrauchbar. Es enthielte so viele Fehler, daß Boukreev seiner Veröffentlichung nicht zustimmen konnte.
     
    Nachdem ich alles noch einmal geschildert und die Fragen beantwortet hatte, wurden meine Träume wieder schlimmer, und ich mußte immer schwer darum kämpfen, ohne die Story im Kopf zu schlafen.
     
    Wilkinson faxte nun seine Fragen an Boukreev und bat ihn, sie zu beantworten, wenn er das Gefühl hätte, sie verstanden zu haben.
     
    Am Morgen des 7. Juni flog ich von Albuquerque nach Seattle, fuhr direkt zu Jane Bromet und setzte meine Arbeit für Pete Wilkinson fort. Am nächsten Tag, kurz bevor ich zu einer öffentlichen Gedenkfeier für Scott ging, faxte ich ihm meine Darstellung, auch wenn sie unvollständig war.
    Zur Feier waren Menschen aus aller Welt gekommen, um das Andenken Scotts zu ehren. Seine Familie und Freunde waren trotz ihrer tiefen Trauer sehr nett zu mir und dankten mir für meine Bemühungen. Und ich dankte ihnen, so schwer es mir auch fiel, für ihre Worte. Ich war innerlich am Boden zerstört und fand keinen Bezug zur Realität dieser Feier. Mein ganzer Einsatz hatte nicht ausgereicht, um Scott und Yasuko Namba zu helfen. Da mir die Veranstaltung sehr zusetzte, blieb ich an diesem Tag für mich. Ich hatte kein Verlangen, mich mit meinen zahlreichen anwesenden Freunden zu treffen oder mit ihnen zu sprechen.
    Am nächsten Tag fand wieder eine Feier statt. Diesmal sollte Scotts im privaten Kreis gedacht werden. Seine Eltern und Freunde sprachen von seiner Arbeit und seinem

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