Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Gipfel

Der Gipfel

Titel: Der Gipfel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anatoli Boukreev , G. Weston DeWalt
Vom Netzwerk:
über das Normalmaß in dieser Höhe hinaus. Seine Teamärztin und Basislagerleiterin litt an häufigen Anfällen von Höhenkrankheit. Lager II mußte erst aufgebaut werden. Zwischen Lager II und Lager IV gab es noch keine Fixseile. Von den physischen Strapazen erschöpft, hinkte Fischer hinter seinem Zeitplan her und fragte sich ernsthaft, wie er die Sache über die Bühne bringen sollte. Er taumelte auf einen Abgrund zu, der es mit jenen im Khumbu-Eisbruch aufnehmen konnte – aber er biß sich durch, fast immer lächelnd und guter Laune.

    Der Großteil der Gruppe brach ohne Führer um sechs Uhr morgens zum Eisbruch auf. Man wollte der Tageshitze und der blendenden Lichtreflexion des Eises entgehen, das mit zunehmender Sonneneinstrahlung immer tückischer und gefährlicher wurde. Vor dem Aufbruch waren Scott und ich übereingekommen, daß wir den Kunden wie früher auch schon in einem gewissen Abstand folgen würden. Unsere Strategie, es den Kunden allein zu überlassen, gewisse Situationen zu bewältigen, hatte die mißbilligende Aufmerksamkeit anderer Teams auf sich gezogen. Aber in diesem Punkt waren Scott und ich uns einig. Ich persönlich stand den streng reglementierten Expeditionen, bei denen die Teilnehmer wie Marionetten agieren, mit großer Skepsis gegenüber. Meine Erfahrung als Skilanglauftrainer und Bergführer hatte mich gelehrt, wie wichtig es war, die Selbständigkeit zu fördern.

    Nicht nur der Führungsstil von Mountain Madness erregte bei anderen Expeditionen Argwohn, sondern auch einer der Führer, nämlich Boukreev. Auf seinen Touren mit Kunden am Berg oder bei der Arbeit im Basislager sah man ihn oft in Laufschuhen mit Stollen an den Sohlen. Das war »Normalschuhwerk« für Boukreev, wenn er nicht in großer Höhe in Eis und Schnee unterwegs war. Seine Schuhe waren nicht nur Anlaß für Gerede, sie brachten ihm auch den Spitznamen »Sneakers« ein. Das Wort verstand er anfangs als »Snickers«, und er konnte nicht begreifen, was dies mit den süßen Riegeln zu tun hatte, die sich die Leute im Essenszelt zu Gemüte führten. Als ihm dann ein Licht aufging, war er wegen dieser Kleinkariertheit gekränkt. Schließlich tröstete er sich: »Man schleppt nicht ungestraft überflüssige vier Kilo den Berg hinauf. Die Energie, die ich mit diesen leichten Schuhen spare, kommt mir in einer Höhe über 8000 Meter zugute, und dann wird niemand mehr Witze reißen.«
Boukreev, der sich eisern an sein Programm hielt, besaß die
    Disziplin eines olympiareifen Atlethen und die konzentrierte Aufmerksamkeit eines Testpiloten. Er überwachte das Schaltpult seines Körpers, ohne die Vorgänge außerhalb des Cockpits außer acht zu lassen. Ständig dachte er an das, was in seinen Augen wichtig war und was später lebensrettend sein konnte. Wenn er anderen in sich gekehrt und geistesabwesend erschien, war dies ein Zeichen, daß er sich in seine Himalaja-Kommandozentrale zurückgezogen hatte – nach Ansicht Lene Gammelgaards seine ureigene Welt. »Ich wäre auf einer Expedition zu gern mit lauter Anatolis zusammengewesen, aber es gibt leider nur einen Anatoli auf der ganzen Welt, und daneben diese vielen Scotts.«

    Als ich in Lager I eintraf, sah ich, daß sich viele unserer Kunden sonnten und von ihrer Durchsteigung des Eisbruchs erholten. Für das geplante Lager III mußte noch einiges an Vorräten von Lager I nach Lager II befördert werden. Dazu fehlten uns die Leute, da einige Sherpas, die den Kranken ins Tal schaffen mußten, ausfielen. Ich steckte daher einige Expeditionsschlafsäcke in meinen Rucksack und machte mich unverzüglich auf den Weg zum Lager II. Unterwegs überholte ich vier unserer Sherpas, die ebenfalls beladen waren. So wie ich wollten sie im Lager II die Nacht verbringen und am nächsten Tag alles Nötige für die Kunden hinauf ins Lager III schaffen.

    Bei seinem Aufstieg an diesem klaren, windstillen Tag war Boukreev froh über die warme Temperatur. In größerer Höhe, wo die Kälte durch Mark und Bein dringt, würden Vliesjacken nicht mehr genügen.

    Ich traf ein, als die Sherpas für die Gruppe, die nach mir kommen würde, ein Mittagessen vorbereiteten, und aß rasch etwas, ehe ich in mein Zelt ging. Ermüdet vom Lastenschleppen und eingelullt von der Hitze und Stille, schlief ich fast sofort ein.

    In Lager II teilte Boukreev sein Zelt mit Martin Adams, dessen wachsende Unzufriedenheit mit einer Expeditionsleitung, die mehr Wert auf das Sammeln von Kilometern als auf Logistik zu

Weitere Kostenlose Bücher