Der Gitano. Abenteuererzählungen
entgegenstreckte, hielt ihn davon ab, aber kaum war eine Minute vergangen, so hatte die Karavane einen für mich drohenden Kreis um uns gebildet.
»Er hat einen Gläubigen, einen Hadschi geschlagen; er muß sterben!« rief der Schech. »Ich war zwölf Mal in Mekka, der Stadt des Propheten, drei Mal in Medina, der Ruhmbedeckten und habe zu Dschidda gebetet, wo Eva, die Mutter der Menschheit begraben liegt, fünfhundert Fuß lang und zwölf Fuß breit. Was aber hat er gethan, und an welchem gottgefälligen Orte ist er gewesen? Er ist ein Franke, welcher Isa Ben Marryam, Jesus, den Sohn Mariens anbetet, und hat mich in das Gesicht geschlagen. Er muß sterben!«
Ich wußte, daß ich unter gewöhnlichen Umständen mit dem raschen Hiebe mein Leben gewagt hätte, aber ich hatte nicht Lust, mich, wie leider so viele europäische Reisende, von einem bigotten und unwissenden Menschen nur allein deshalb ungestraft beleidigen zu lassen, weil ich ihm und den Seinen allein gegenüber stand. Der Angehörige einer civilisirten Nation hat die Ehre derselben unter allen Umständen zu vertreten und ich brauchte mich vor den halb verschmachteten Leuten wenig oder gar nicht zu fürchten. Ich war verhältnißmäßig noch gut bei Kräften und hatte für nur meine Person, Mahmud gar nicht mitgerechnet, mehr sichre Kugeln zu versenden, als sie aus allen ihren langen und ungefährlichen Schießgewehren.
»Mach Deinen Mund zu, Du Ausbund aller Frömmigkeit,« antwortete ich daher, »sonst werde ich Dir ihn schließen! Du bist ein Hadschi, ein Pilger, der nur von Augila nach Mekka und von Mekka nach Augila gewandert ist, ich aber bin in allen Ländern der Erde gewesen und habe Städte und Menschen gesehen, deren Namen Du nicht einmal kennst. Glaubst Du, ein Franke fürchtet sich vor Dir? Ein einziger Mann aus Frankhistan ist weiser und klüger als hundert Schechs el Djemali, denn er hat einen Geist bei sich, der ihm alle Orte nennt und alle Wege führt, auch wenn er sie noch nie betreten hat. Schau her, Du Inbegriff aller Klugheit! Siehst Du, wie der Geist bebt vor Zorn darüber, daß Du uns einen falschen Weg geführt hast?«
Ich zeigte ihm den Kompaß vor, auf den er sein Auge mit unendlichem Staunen richtete. Der Orientale ist im höchsten Grade abergläubisch und liebt es, sich in vulminanter Weise auszudrücken. Ich wußte daher, was ich that, wenn ich hier ein Eigenlob gebrauchte, für welches ich in der Heimath herzhaft ausgelacht worden wäre. Darum fuhr ich fort:
»Sieh her! Diese zwei Revolver, von denen Du noch niemals gehört hast, fressen zwölf Männer auf, diese Büchse nimmt zwei von ihnen weg und dieser Henry-Stutzen, dessen Namen noch kein einziges Mal an Dein Ohr gedrungen ist, kostet fünfundzwanzig Gläubigen das Leben, wenn Ihr es wagt, mich anzutasten. Gott erhalte Dir Deinen Verstand und gebe Dir Besserung, sonst versammle ich Dich zu Deinen Vätern, obgleich Du zwölf Mal in der Stadt des Propheten gewesen bist. Ein Schech el Djemali, der seinen Weg nicht kennt, ist schlimmer für den Wanderer als der Smum, der giftige Wüstenwind. Nimm Deine Flinte weg, sonst schieße ich Dich von dem Rücken Deines Djemmels herunter, welches klüger ist und weiser, als sein Herr!«
Diese Worte hatten eine sofortige Wirkung. Er warf das Gewehr wieder über den Rücken und machte Miene, den unterbrochenen Weg wieder aufzunehmen.
»Halt, ia Ibn Suleiman, Du Nachkomme Salomo’s; wir sind noch nicht fertig! Du sagst, wir seien auf dem richtigen Wege. Wann werden wir Siwah erreichen?«
»Morgen noch vor Sonnenuntergang.«
»Gut! Wir werden Dir noch folgen; aber wenn wir die Uah bis morgen beim Niedergang der Sonne noch nicht sehen, so geht die Sonne Deines Lebens unter, ich schwöre es Dir bei dem Barte Eures Propheten und bei Jesus, dem Gekreuzigten, den Ihr Isa Ben Marryam nennt!«
Ich drehte mein Kameel herum und lenkte es an das Ende des Zuges zurück. Die Gefahr war für den Augenblick von mir abgewendet, aber sie konnte wiederkehren. Ich wußte, daß der Schech Alles thun werde, den an ihm begangenen Schimpf zu rächen. Seine Mitgläubigen fühlten diesen Letzteren, als sei er ihnen selbst angethan worden, aber einestheils waren sie von der Anstrengung und Entbehrung kraft-und muthlos geworden und anderntheils hatte ich durch die Behauptung, daß wir in falsche Richtung geführt worden seien, ihr Mißtrauen gegen ihn rege gemacht. Schweigend und finster folgten sie ihm. Er war ein Moslemin; sie hätten ihm gern vertraut;
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