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Der Gitano. Abenteuererzählungen

Der Gitano. Abenteuererzählungen

Titel: Der Gitano. Abenteuererzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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aber sie kannten auch die Ueberlegenheit europäischer Bildung und durften es daher mit meiner Anklage nicht so leichthin nehmen. Jedenfalls waren sie still entschlossen, jetzt nicht Partei zu ergreifen, sondern den Verlauf der Dinge ruhig abzuwarten.
    Die gewöhnliche Lagerzeit war noch nicht herangekommen, aber die allgemeine Ermüdung hatte einen solchen Grad erreicht, daß bald Halt gemacht werden mußte. Die Kameele wurden entlastet und angepflockt, die Zelte errichtet und das mehr als spärliche Mahl gehalten. Einige legten sich dann zur Ruhe, während die Andern sich in der durch das Unterschlagen der Beine erreichten Stellung, welche der Türke »Rahat oturmak, Ruhm der Glieder« nennt, im Kreise hockten, um ihrer trüben Stimmung Ausdruck zu geben. Es war eine schreckliche Befürchtung in ihnen wach geworden. Schon öfters hatten Karavanen, welche von Augila nach Siwah gingen, ihr Ziel nicht erreicht; sie waren von dem berüchtigten Hedjahn-Bei mit seiner »Gum,« wie die Räuberkaravane heißt, überfallen und vernichtet worden. Aber niemals hatte man die Gebeine der Ermordeten auf dem Wege, sondern weit abseits in der Wüste gefunden. Die Unglücklichen waren entweder von dem Räuber aus der Richtung gelockt oder von einem bestochenen Führer in das Verderben geleitet worden. Wie nun, wenn wir einem gleichen Schicksale entgegengingen? Es war ein gräßlicher Gedanke, denn man wußte, daß der Hedjahn-Bei keinen Menschen leben ließ und nannte ihn darum nicht anders, als den »Karavanenwürger.«
    Die traurige Unterhaltung währte nicht lange; die Erschöpfung machte sich geltend und bald schlief außer den aufgestellten Wachen Alles den Schlaf der Gerechten. Auch ich streckte mich auf meine Decke, konnte aber zu keiner Ruhe kommen, denn die Sorge über unsre Lage öffnete mir immer wieder die müden Augen.
    Da hörte ich aus der Ferne Laute an mein Ohr dringen, die mich sofort vollständig munter werden ließen. Zwar durch die Entfernung gedämpft, dem geschärften Gehör aber doch vernehmbar, klang es wie das bellende »J-au« des Schakals und dazwischen hinein brummte das tiefe, heisere »Ommu« der Hyäne. Ich horchte mit Anstrengung, bemerkte, daß ich mich nicht getäuscht habe, und sprang auf. Es mußte Wasser in der Nähe sein, denn diese Thiere bedürfen täglich desselben, wenn sie nicht verschmachten sollen, und wagen sich daher nie weit in die wasserleere Wüste hinein.
    Ich schlug den Vorhang des Zeltes zurück und trat hinaus. Mahmud der Große stand draußen; die Laute hatten auch ihn aufmerksam gemacht.
    »Hörst Du die Djinns, die bösen Geister der Wüste, Sihdi?« frug er leise. »Sie locken den Wanderer in das Verderben, aber Mahmud Ben Mustafa Jussuf Jaakub Ebn Baschar läßt sich nicht betrügen. Er hört, daß die Stimmen nicht vom Schakal und von der Hyäne kommen und bleibt in seinem Zelte liegen.«
    Er kroch wieder unter das niedrige Leinwanddach, welches er sich errichtet hatte; ich aber blieb horchend stehen. Wieder erklangen die Laute, aber ich vernahm jetzt auch, daß es nicht natürliche waren. Doch weit entfernt, sie bösen Geistern zuzuschreiben, war ich vielmehr überzeugt, daß sie irgend einer menschlichen Kehle entsprangen.
    Was hatte dies zu bedeuten? Wir waren vom richtigen Wege abgelenkt worden, und ich mußte an den Hedjahn-Bei denken. Ich nahm die Waffen zu mir und schritt nach dem Zelte des Schech el Djemali. Er war nicht zu finden. Ich suchte die nächste Wache auf. Der Mann war vor Ermüdung niedergesunken und schlief.
    »
Be issm lillahi radjal,
um Gottes willen, auf, Ihr Männer!« rief ich. »Der Hedjahn-Bei, die Gum ist in der Nähe!«
    Im Nu war das Lager belebt und Alles drängte sich zu den Kameelen, um die augenblickliche Flucht zu ergreifen. Ich widerstrebte den Unbesonnenen. Sie mußten ja zu Grunde gehen, wenn sie sich von ihrer Furcht in die todte Oede zerstreuen ließen. Nur nach langem Mahnen und Bitten brachte ich sie zum Bleiben; aber sie hatten eine solche Furcht vor dem »Karavanenwürger,« daß sie nur widerstrebend zu den Waffen griffen. Die Ruhe, welche ich mir zu bewahren suchte, imponirte ihnen endlich doch; sie gehorchten meiner Mahnung und kehrten in ihre Zelte zurück, um sich unter deren Deckung zu vertheidigen. Mir aber ließ es hinter der Leinwand keine Ruhe; es trieb mich hinaus, um mich zu überzeugen, ob ich mit meiner Vermuthung das Richtige getroffen habe. Ich steckte nur das Messer und die Revolver zu mir; die langrohrigen

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