Der Gitano. Abenteuererzählungen
nach gelagert hatte. Der Boden bildete hier einen feinsandigen, fast kreisrunden und von größeren Felsbrocken eingerahmten Teller und war auf eine so energische Weise zertreten, daß die mehr als zahlreichen Eindrücke meine Aufmerksamkeit erregten.
Ich stieg ab, um die verdächtige Erscheinung zu untersuchen. Hier hatte eine heillose Verwirrung, vielleicht gar ein Kampf, wenn auch ein unblutiger stattgefunden. Ich suchte nach Anhaltepunkten und fand einen, der mir vollständige Aufklärung bot: Eine Kofla von fast zwanzig Thieren war von Süden her herbei geschlichen, hatte unsere Karawane im Schlafe überfallen und sie nach derselben Richtung hin mit sich fort genommen. Kein Zeichen war zurück geblieben, auch nicht das geringste, keine Kameelhalfter, kein Zeltpflock, keine Schleife und kein Band von einer Rauïe (Lastgestell) oder einem alten Serdj (Sattel); keine Spur des Verbrechens sollte zurück bleiben, wenn der jetzt abwechselnd fächelnde Gebli und Behari (Süd-und Nordwind) die Fußtapfen ausgeglichen hatte.
»Ali, bist Du mir wirklich so treu, wie Du immer sprichst?«
»Warum fragst Du, o Sihdi? Ich bin Dir so treu, wie der Tropfen dem Wasser und die Wärme dem Feuer!«
»Und gehst Du mit, wohin ich dich führe?«
»Hamdullillah, Preis sei Gott, daß ich Dich gefunden habe, den guten Effendi aus Nemsistan (Deutschland). Du bist der beste Herr in ganz Blad el Rumi (Europa) und ich der beste Diener in Mehr, Mogreb el Ausath und Mogreb el Aksa (Egypten und Nordafrika). Warum soll ich von Dir bleiben? Ich gehe mit Dir bis an das Ende der Erde und noch zehntausend Tagereisen weiter!«
»Auch zum Kofla-Aga, Ali?«
»Auch zu ihm, wenn Du willst. Was ist’s auch Großes? Er wohnt ja hier im Bahr billa ma, im Meer ohne Wasser (Wüste)!«
»Er wohnt auf el Kasr.«
»Weißt Du das genau, Effendi?«
»Ja. Er ist mit seiner Kofla hier gewesen und hat unsere Karawane mit nach dem Geisterschloß genommen. Dort wird er die Thiere und Güter behalten und die Männer ermorden.«
»Gott verdamme den Hund! Soll ich hingehen und ihn zerreißen, Sihdi?«
»Du hast Manasse Ben Arahab gekannt?«
»Warum sollte ich nicht? Habe ich nicht bei ihm das beste Kuskussu (Grütze mit Hammelfett) gegessen?«
»Und hast auch gesehen Rahel, seine Tochter?«
»Ich habe sie gesehen. Sie hat Augen wie Leïkum saaïde, die segensreiche Nacht, und ihre Finger sind voll Güte und Barmherzigkeit. Doch sie ist verschwunden. Ich glaube, ein böser Djinn ist bezaubert worden von ihrer Lieblichkeit und hat sie durch die Lüfte geführt.«
»Ja ein böser Djinn ist es gewesen, aber nicht einer von denen, die Du meinst, sondern einer, der Fleisch und Blut besitzt. Er heißt Kofla-Aga.«
»Der Kofla-Aga? Wer hat es Dir gesagt, Effendi?«
»Ich weiß es. Er hält sie auf el Kasr gefangen.«
»Gefangen? Sihdi, ich kenne Einen, der wird hingehen und sie befreien!«
»Wer ist das?«
»Er heißt Ali el Hakemi Ebe Abbas Ebe er-Rumi Ben Hafs Omar en Nasafi.«
»Ist dies Dein Ernst, Ali?«
»Glaubst Du, Sihdi, daß ich mit dem Kofla-Aga scherzen möchte?«
»Nun gut, ich gehe mit. Es handelt sich um das Leben vieler Männer und um die Freiheit der Tochter Ben Arahabs. Thust Du Alles, was ich will, so erhältst Du den Preis, welchen der Bey von Fezzan auf den Kopf des Kofla-Aga ausgesetzt hat. Vorwärts, laß uns die Spur verfolgen!«
»Be issm lillahi, in Gottes Namen, Sihdi; aber erlaube zuvor, daß ich die Fathcha bete. Allah hilft dem, der sich in Gefahr zu ihm wendet!«
Er kniete auf dem Sattel seines ruhigen Thieres, das Angesicht nach Sonnenaufgang, und betete die Fathcha, die erste Sure des Korans, wie den Gläubigen bei allen wichtigen Unternehmungen vorgeschrieben ist. Sodann ließ ich mein Bischarihahedjihn ausgreifen, um das Geisterschloß so bald wie möglich zu erreichen.
Wir waren nun beinahe zwei Tage lang der Richtung nach Süden gefolgt. Unser kleiner Proviant und Wasservorrath, der ja nur für einen Tag berechnet war, ging trotz unserer Sparsamkeit zu Ende, und es wurde Zeit, das Ziel unseres Rittes zu erreichen.
Wer sich die Wüste als eine große, nur vom Sande erfüllte Ebene vorstellt, ist im Irrthume. Vor uns erhoben sich nach und nach die scharfen, phantastischen Contouren einer Bergkette, zwischen deren Vorhügel die uns zum Wegweiser dienende Spur dahinführte. Diese war jetzt von Stunde zu Stunde deutlicher geworden, und eben bogen wir um eine Felsenkante, als Ali sein Thier anhielt und ihm mit dem
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