Der Gitano. Abenteuererzählungen
aber ein leises Kitzeln mit der Klinge half seinem guten Willen nach.
»Vier und zwanzig.«
»Wo ist der Aga jetzt?«
»In seinem Diwan (Prachtzimmer).«
»Und die Andern?«
»Bei der Beute?«
»Alle?«
»Alle!«
»Wo?«
»Nicht weit von hier.«
»Schwöre mir beim Haupte des Propheten, daß Du mir die Wahrheit gesagt hast!«
»Ich schwöre!«
»Steh auf und zeige mir den Weg. Bist Du gehorsam, so soll Dir nichts geschehen; machst Du aber den leisesten Versuch des Verrathes, so bist Du verloren! Wo sind die Gefangenen?«
»Eingeschlossen.«
»Gut. Steig jetzt voran!«
Ich faßte den Strick, dessen anderes Ende ihm die Hände auf dem Rücken hielt, und nachdem Ali die Kameele gefesselt hatte, traten wir in die Spalte. Der Araber war unbewaffnet. Wir beiden Andern trugen Jeder außer dem Dolche eine Doppelflinte und ein paar Doppelpistolen und ich außerdem zwei sechsschussige Revolver, alle Läufe scharf geladen. Die Spalte führte uns erst wagrecht in den Felsen hinein und dann allmählich in die Höhe. Durch die Nachhilfe der Schloßbewohner war sie in einen passirbaren Gang umgewandelt worden.
Wir mußten nach meiner Ansicht fast die Oberfläche des Felsens erreicht haben, als ich Stimmen vernahm. Wir gelangten an eine Thür, traten vorsichtig näher und blickten in den hinter ihr liegenden Raum. Ich erkannte auf den ersten Blick in ihm die Niederlage der geraubten Güter. Er war fast bis an die Decke mit Ballen und den verschiedensten Gegenständen, wie sie eine Karawane mit sich führt, gefüllt, und ich zählte über zwanzig Männer, welche theils beschäftigt theils müßig bei dem trüben Scheine der Kameelsdüngerfackeln zu erkennen waren. Ich warf die schwere, alterthümliche Thür zu und schob die sicher unzerbrechlichen Mauerriegel vor. Mein Glück blieb mir auch heute treu: Die Bande des Kofla-Aga war gefangen.
»Zeige mir die Männer, welche vorhin gekommen sind!« gebot ich dem Araber.
Er schritt noch eine Strecke aufwärts und blieb vor einer zweiten Thür stehen. Ich gab den Strick an Ali und tastete mich im Dunkeln zurecht. Auch hier waren starke Riegel angebracht. Ich öffnete.
»Salem aaleïkum, Ihr Leute! Tretet hervor, denn Ihr seid frei!«
»Handullillah, Preis sei Gott! Seid Ihr es wirklich, Sihdi?« klang da die freudige Stimme des alten Schech el Djemahli.
»Ich bin es. Ich wollte mich von der Wahrheit dessen überzeugen, was Dir Dein frommer, fünftausendjähriger Marabut erzählt hat, und habe die bösen Djinns gefangen.«
Ich führte ihn mit der Hälfte seiner Leute an die Thür des Lagerraumes zurück, deren Bewachung ich ihm übergab, und folgte mit den Andern unserm Führer weiter.
Wir traten endlich an das Tageslicht.
»Lubeka, Allah hinneh!« hörte ich grad über uns eine bekannte Stimme singen. Es war Rahel.
»Wo ist der Diwan des Aga?« frug ich den Araber.
»Geh diese Stufen empor und durch zwei Gemächer; Du findest ihn im dritten!«
»Kommt mit, und wartet vor der Thür!«
Die kurze Dämmerung des Südens war bereits hereingebrochen, als ich in den Diwan trat, aber ich vermochte doch noch die Pracht zu erkennen, mit welcher dieses Gemach der alten Ruine ausgestattet war. Der Kofla-Aga saß auf einem kostbaren Beni-Snassen-Teppich, der wenigstens vier Zentner schwer sein mochte, und war so mit seinem Narghileh (Wasserpfeife) beschäftigt, daß er mein Kommen gar nicht hörte.
»Salem aaleïkum!« grüßte ich. »Ist der ›Würger der Karawanen‹ taub geworden, daß er den Schall meiner Füße nicht vernimmt?«
Bei dem Klange der fremden Stimme sprang er auf und trat mit einigen raschen Schritten auf mich zu. Er erkannte mich und griff zum Yatagan.
»Allah akbar, Gott ist groß Wer, Fremdling, hat Dich von Murzuk nach el Kasr geführt, und wie bist Du herbeigekommen, ohne daß wir Dich gesehen haben?«
»Ich komme, um zu holen Rahel, die Tochter Manasse Ben Aharab.«
»Sie ist nicht hier. Hast Du die zehn Beutel?«
»Sie ist hier, Du Vater des Mordes und Erzeuger des Raubes, und die Beutel liegen in Murzuk.«
»So geh und hole sie!«
»Bah! Du wirst mich nie wieder von hinnen lassen, weil sonst die Wohnung des Kofla-Aga verrathen ist, sondern mich vom Felsen werfen lassen wie die Andern alle!«
»Beim Barte des Propheten, Giaur, Du hast recht gesagt! Gieb Deine Waffen her!«
»Die sollst Du sehen!« Ich zog den Revolver. Er hatte wohl noch keines dieser kleinen Instrumente gesehen.
»Willst Du mit mir scherzen? Ich schwöre Dir bei Muhammed
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