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Der Gitano. Abenteuererzählungen

Der Gitano. Abenteuererzählungen

Titel: Der Gitano. Abenteuererzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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zu zeigen, wem sie es zu verdanken haben. Der dortige Gouverneur ist mir zu Dank verpflichtet; meine Wünsche sind für ihn Befehl.« –
    Es war einige Wochen später, als über die unwegsame, hartgefrorene und beschneiete Fläche eines der raschen russischen Dreigespanne den Niederungen der Waga, eines Nebenflusses der Dwina zusaußte.
    In dem Innern des Schlittens saß ein Herr und eine junge Dame, beide vorsorglich in kostbare Pelze eingehüllt.
    »Ho – hü, mein Liebchen, mein Täubchen, schnell, mein Engel, immer rascher, Du Abgott meiner Seele – lauf, mein Schätzchen,« so feuerte der bärtige Kutscher nach der Art aller sarmatischen Pferdelenker in zärtlichen Ausdrücken seine Thiere zur Eile an.
    Es wurde in rasendem Laufe Strecke um Strecke zurückgelegt, bis in der Ferne ein dunkler Gegenstand aus der weißen, schimmernden Schneefläche tauchte, der sich beim Näherkommen als eine Fährhütte erwies.
    Sie stand an dem Ufer der Waga.
    Der Herr des Schlittens ließ vor ihr halten. Der Fährmann eilte herbei.
    »Ist das Eis fest genug?«
    »So fest wie Eisen, Herr.«
    »Weißt Du es gewiß?«
    »Gewiß, Väterchen. Erst gestern ist eine vornehme Herrschaft hinüber, und heut ist die Kälte größer.«
    »Wer war diese Herrschaft?«
    »Ein Herr und ein Weibchen. Der Kutscher stieg ab und holte heißen Thee von meinem Feuer. Der Herr ist Oberst und heißt Graf Milanow.«
    Der Frager stutzte.
    »Hast Du den Namen recht gehört?«
    »Genau, mein Väterchen.«
    »Wie weit ist’s bis zur Dwina?«
    »Wenn die Pferde aushalten, ist vor Nacht noch Schloß Dwianka erreicht.«
    »Dahin will ich.«
    »Der Oberst auch.«
    »Ah –!«
    Er warf einen nachdenklichen Blick auf die neben ihm sitzende Dame.
    »Hat er selbst es Dir gesagt?«
    »Nein, der Kutscher.«
    »Gut, ich danke. Hier hast Du Etwas zum Thee!«
    Er warf ihm ein Geldstück zu und gab dann das Zeichen, die Fahrt fortzusetzen.
    »Was sagst Du zu der Reise des Obersten, Paulowna?«
    »Zufall, oder nicht?«
    »Vielleicht. Hm –! Der Gouverneur ist auf Dwianka anwesend, wie ich hörte. Wir sahen uns in Paris und dann in London; wir waren Freunde
pour passer le temps,
aber ich weiß nicht, ob er sich meiner noch erinnern wird. Ich wollte ihn aufsuchen und fahre auf keinen Fall vorüber, selbst wenn der Oberst bei ihm ist. Die Nacht ist da und der Wald voll Wölfe; wir müssen bei ihm absteigen.«
    Er legte sich in die Kissen zurück und schwieg. Die Begegnung mit Milanow schien ihn doch mehr zu beschäftigen, als er merken lassen wollte.
    Die Aussage des Fährmannes erwies sich als Wahrheit. Noch war die Nacht nicht vollständig hereingebrochen, so erhoben sich vor den Reisenden die dunklen Mauern von Schloß Dwianka. Der Schlitten lenkte durch das breite, offene Thor in den geräumigen Hof ein und hielt vor dem Portale, zu welchem einige Stufen emporführten. Ein graubärtiger Beamter kam herbei.
    »Dieses Schloß gehört den Grafen Sorgeneff.«
    »So ist es, Herr.«
    »Ist der Graf zugegen?«
    »Ja.«
    »Melde uns!«
    Er zog aus der Tasche ein Portefeuille, entnahm demselben eine Karte und reichte sie dem Manne. Dieser klatschte einige Male laut in die Hände und sofort eilten mehrere Diener, welche bisher unsichtbar gewesen waren, herbei, um der Herrschaft aus dem Schlitten zu helfen.
    Der Kutscher lenkte den Letzteren in eine Wagenremise, ließ sich für seine Pferde einen Stall anweisen, versorgte sie und begab sich dann nach der Bedientenstube. Hier verneigte er sich vor dem in einer Ecke hängenden Bilde eines Schutzheiligen, grüßte die Anwesenden und nahm an einem der schmalen, kleinen Fenster Platz.
    Ganz gegen die Gewohnheit der redseligen Großrussen hatte man kaum einige kurze Worte für ihn; er mußte sich Essen und Trinken selbst fordern und ging endlich verdrießlich wieder dem Stalle zu, um nach seinen Pferden zu sehen. Ueberrascht blieb er unter der Thür stehen. Der Schein der Laterne war auf ein bekanntes Gesicht gefallen.
    »George, ist’s möglich – Du hier?«
    »Theodor, also wirklich, ich habe Dich sofort erkannt, wenn Du auch diesen verteufelten russischen Bart trägst. Ich wußte schon seit einer Woche, daß der Baron von Felsen kommen werde. Ich muß Dich sprechen, aus alter Freundschaft, aber im Verborgenen.«
    Er löschte die Laterne aus und zog ihn hinter einige Strohbündel.
    Nach einiger Zeit trat Theodor, der seinen Herrn gegenwärtig als Kutscher begleitete, in den Hof hinaus, schritt die Treppe empor und begab sich in

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