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Der Gitano. Abenteuererzählungen

Der Gitano. Abenteuererzählungen

Titel: Der Gitano. Abenteuererzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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die Gemächer, welche dem Baron mit seiner Gemahlin angewiesen waren. Beide waren mit ihrer Toilette zum Souper beschäftigt.
    »Herr Baron!«
    »Nun?«
    »Der Oberst ist da.«
    »Ich weiß es, obgleich Graf Sorgeneff es verheimlichen will.«
    »Der Graf hat von dem Obersten vor acht Tagen diese Zeilen erhalten.«
    Er überreichte, ihn auseinander faltend, einen Brief. Der Baron las ihn und konnte ein plötzliches Erbleichen nicht verbergen.
    »Wer gab Dir diese Zeilen?«
    »George, der Leibdiener des Grafen Sorgeneff. Wir haben uns lieb von Paris und London her; er hat ihn seinem Herrn entwendet, um uns zu warnen.«
    »Um Gotteswillen, was ist es?« frug die Baronin ängstlich.
    »Nichts als eine neue Schlechtigkeit von Seiten des Obersten. Du weißt, daß die beiden Verbrecher Iwan und Wanka auf der Flucht nach Sibirien entsprungen sind. Wir sollen mit ihnen identisch erklärt und jenseits der Dwina festgenommen werden, um nach Nertschinsk zu gehen. Der Befehl, zwei Personen, die mit einem auf Baron und Baronin von Felsen lautenden Paß reisen, sofort festzunehmen und schleunigst unter Abschließung von allem Verkehr über den Ural zu transportiren, ist vom Zaaren unterzeichnet und von dem Obersten dem Grafen eigenhändig übergeben worden. Dieser ist Gouverneur und hat das jenseitige Ufer besetzen lassen. Darum also that er, als erkenne er mich nicht; darum verhielt er sich so außerordentlich zurückhaltend, daß er sich kaum die Mühe gab, uns zum Abendbrote einzuladen. Eine so verrätherische Gastfreundschaft kann nur ein Russe üben!«
    »Giebt es keine Reitung?« frug die Baronin, zitternd vor Angst.
    »George meinte,« fiel Feodor oder Theodor, wie sein deutscher Name lautete, ein, »es sei das Beste, sofort wieder anzuspannen und heimlich aber schleunigst zurückzukehren. Ein Glück, daß uns die Freundschaft dieses braven Menschen noch zur rechten Zeit warnt!«
    »Hm – ja – doch –« besann sich der Baron – »ha, wie, wenn ich ihn in die eigene Grube stürzte? Wird dieser Georg einmal unbemerkt zu mir kommen können?«
    »Ich werde sehen!«
    Feodor entfernte sich und brachte nach kurzer Zeit den Verlangten herbeigeführt.
    »Sie sind ein Franzose?« frug diesen der Baron.
    »Ja. Der Graf Sorgeneff engagirte mich in Paris. Aber ich hasse diese Russen.«
    »Warum bleiben Sie bei ihm?«
    »Mein Gehalt ist gut, und in einem russischen Hauswesen kann man sich leicht ein Sümmchen zurücklegen. Ich möchte mich bald zur Ruhe setzen.«
    »Ah so! Wollen Sie sich diese Tausendrubelnote verdienen?«
    »Tausend Rubel? Gern, sofort! Aber wodurch?«
    »Reist der Oberst allein? Ich hörte, eine Dame sei bei ihm. Der Fährmann an der Waga berichtete mich so.«
    »Es ist eine Dame bei ihm, ob Gemahlin oder Schwester oder – ich weiß es nicht.«
    »Gemahlin jedenfalls nicht, aber es befördert meinen Zweck. Hier ist mein Paß. Er lautet auf Baron und Baronin von Felsen. Wenn Sie ihn mit dem Passe des Obersten umzutauschen vermögen, gehört die Note Ihnen.«
    Der Diener besann sich. Ein schadenfrohes Lächeln glitt über seine intelligenten Züge.
    »Ich verstehe Sie vollkommen, Herr Baron. Der Verräther soll an Ihrer Stelle nach Sibirien gehen. Verdient hat er es, und es soll mir, auch abgesehen von der Note, eine Befriedigung gewähren, ihn mit seinem eigenen Schmutze zu waschen. Vertrauen Sie mir den Paß an. Sie gehen jetzt zur Tafel, die nicht lange währen wird, denn später wird für den Obersten gedeckt. Während er da aus seinem Zimmer abwesend ist, werde ich sehen, was zu machen ist.«
    »Schön. Ich werde mir nicht das geringste Mißtrauen merken lassen. Jetzt gehen Sie. Man könnte Sie leicht vermissen!«
    Georg und Feodor traten ab.
    »Du spielst ein gefährlich Spiel,« meinte Paulowna besorgt.
    »Nicht gefährlicher als das seine. Ich durchschaue ihn. Nicht nach Sibirien, sondern in den Tod will er uns schicken, damit Dein Erbe seine Schulden decke. Er soll in die Schlinge gehen, die er mir stellt, und der Gouverneur – pah, das wird sich finden!«
    Sie beendeten ihre Toilette und standen eben im Begriff, sich nach dem Speisesaal zu begeben, als Feodor wieder eintrat.
    »Herr Baron, eine außerordentliche Neuigkeit!«
    »Welche?«
    »Ich war neugierig, den Obersten, der sich verbirgt, zu sehen. Georg führte mich in ein Zimmer, welches von demjenigen des Obersten nur durch eine Thür getrennt ist. Ich hörte leise sprechen und blickte durch das Schlüsselloch. Rathen Sie, wen ich

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