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Der Gitano. Abenteuererzählungen

Der Gitano. Abenteuererzählungen

Titel: Der Gitano. Abenteuererzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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wohnt.«
    Die Mulattin schlug den Gedichtband auf und hielt ihr das Titelblatt triumphirend entgegen.
    »Hier steht sein Name. Lies ihn, aber recht laut!«
    »Richard Forster! Tantchen, ist es möglich? Wohnt er bei Dir?«
    »Bei mir!« nickte sie mit gewichtiger Miene.
    »Aber wie ist das gekommen?« frug das Mädchen, vor freudiger Verwunderung die Hände zusammenschlagend.
    »So ganz unerwartet, daß ich einen geradezu unverzeihlichen Fehler gemacht habe, mein Kind. Denke Dir, Tante Smolly ist unhöflich und rücksichtslos gewesen, unhöflich und rücksichtslos zum ersten Male in ihrem Leben, unhöflich und rücksichtslos sogar gegen den wahrsten Gentleman, den es geben kann, gegen Deinen Lieblingsdichter und denjenigen meines seligen Mannes!«
    »Das ist doch gar nicht denkbar!«
    »Man sollte es meinen, und dennoch ist es mir arivirt. Ich gäbe sehr viel darum, wenn es nicht geschehen wäre! Das war nämlich so: Sarah kommt herein und sagt, daß ein Mann mich zu sprechen wünsche, der ganz zerfetzt und zerrissen gehe und das Aussehen eines höchst gefährlichen Landstreichers habe. Natürlich empfange ich ihn nicht im Parlour, sondern im Vorsaale, finde auch die Worte des Mädchens vollständig gerechtfertigt und bin also höchst verwundert, als er nach meinem Logis fragt. Ich will ihn kurz abweisen, komme jedoch nicht dazu und erfahre im Laufe des Gespräches, wer er ist. Denke Dir den entsetzlichen Schreck, den ich bekam. So einen Mann für einen Strolch anzusehen und auf diese beleidigende Weise zu empfangen! Natürlich suchte ich mein Vergehen schleunigst wieder gut zu machen, aber es ist beinahe zu groß, als daß er es mir verzeihen könnte.«
    In diesem Augenblicke erscholl die Glocke und das Mädchen trat herein.
    »Master Forster bringt die Speisekarte, Ma’am. Soll er herein?«
    »Natürlich, sofort, stets, wenn er kommt; merke Dir das für immer, Sarah!«
    Marga blickte sich um, als suche sie ein Versteck, hinter welchem sie sich verbergen könne; es war zu spät, denn der Angemeldete stand bereits unter der Thür. Ein Freudenblitz zuckte über sein Gesicht, als er sie erblickte, doch faßte er sich schnell.
    »
Good morning, Myladies,
« grüßte er mit jener Feinheit in Blick, Ton und Bewegung, welche nur welterfahrenen Personen eigen ist. »Verzeihung, daß ich mir den Zutritt gestatte!«
    »Nicht Verzeihung, sondern Dank schulden wir Euch, Sir. Ihr trefft mich in lieber Gesellschaft,« fuhr Mutter Smolly, ihre junge Freundin vorstellend, fort; »Miß Margareth Olbers, eine ganz besondere Freundin germanischer Poesie.«
    »Dann bin ich glücklich, Euch auf einem so herrlichen Gebiete begegnen zu dürfen, Miß,« erwiderte er mit einer gewandten Verbeugung gegen Marga und einem Blicke, in welcher sich neben vollster Hochachtung eine aufrichtige Bewunderung aussprach.
    »Eine Begegnung, welche friedfertiger sein dürfte als die gestrige,« hauchte sie in holder Befangenheit.
    »Wollen wir Frieden schließen?« frug er, ihr unwillkürlich die Hand entgegenstreckend.
    »Gern!«
    Sie legte ihr wunderbares Händchen in seine Rechte; er zog es an seine Lippen. Bei dieser Berührung flog ein dunkles Karmin über ihr Gesicht, und Beiden war es, als ströme durch die verschlungenen Hände eine magische Gewalt über, welche ihre Herzen in einen seligen Rapport setzte.
    »Ihr habt Euch gestern bereits gesehen?« frug die Mulattin erstaunt.
    »Im Vorüberreiten, Mutter Smolly,« antwortete er. Der mehr als bescheidene Westmann konnte nicht erwarten, daß solche Lippen sich seiner noch erinnerten. »Herzlichen Dank dafür, Miß!«
    »O,« lächelte sie, »ein gewisser Tim Summerland hatte sich Mühe gegeben, diese Erinnerung wach zu erhalten!«
    »Tim Summerland? Ist er Euch bekannt?«
    »Er war gestern am Abend bei uns und unterhielt uns ganz prächtig mit der Erzählung seiner Abenteuer, in denen ein tapferer, umsichtiger Jäger, welcher ihn vom Tode errettete, dieselbe Stelle einnimmt wie der Dichter Forster in der germanischen Literatur der Vereinigten Staaten.«
    Sie hatte ihre Fassung vollständig wiedergewonnen und sprach mit einer Sicherheit und aufrichtigen Verbindlichkeit, welche ganz zu ihrer königlichen Gestalt, ihrem edelumwobenen Wesen paßte und jeden Gedanken ausschloß, daß ihre Worte bestimmt seien, ein gewöhnliches Kompliment oder gar eine wohlfeile Schmeichelei auszusprechen.
    Er erhob höflich abwehrend die Hände.
    »Der Jäger that, was der einfachste Trapper gethan haben würde, und

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